Ansturm auf Bufdi-Plätze
Ein Jahr Bundesfreiwilligendienst / Viele Stellen fehlen
Aachen. »Bufdi« - allein der Name ist für Matthias Raschke schon cool. Soziales Engagement ist auch cool, »aber sauanstrengend«, sagt der 19-Jährige, der seit einem Jahr als Freiwilliger bei der Lebenshilfe Aachen tätig ist. Matze, wie sie ihn hier alle nennen, arbeitet in der Kantine mit behinderten Kollegen zusammen. Er ist einer von mehr als 30 000 Bufdis, die während der vergangenen zwölf Monate ihren Dienst angetreten haben. Selbst Optimisten haben nicht damit gerechnet, dass es mal einen solchen Andrang auf die Stellen geben würde.
Junge Leute stehen Schlange für den Bundesfreiwilligendienst, der im Juli 2011 den Zivildienst ablöste. Die 35 000 Stellen bei Wohlfahrtsverbänden oder sozialen Einrichtungen reichen für die zahlreichen Bewerber nicht aus. »Es konnte niemand damit rechnen, dass wir so viel soziales Engagement in dieser Republik haben«, sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, einer der großen Anbieter. »Junge Menschen haben ungeheure Lust, ein Jahr lang für andere etwas zu tun.«
Bei Matze war das keine Frage von Lust. Er hatte nichts anderes, als er den Realschulabschluss nachholen wollte und dann hinschmiss. Seine behinderten Kollegen haben Routine im Job: Brötchen belegen, Kaffee kochen. Kein Problem. Aber sie brauchen Matzes Überblick in der Küche, brauchen seine Aufmerksamkeit, erzählen von Zuhause, von ihren Problemen. Selbst die spezielle Zeichensprache des mongoloiden Severin versteht Matze mittlerweile.
Wie viele junge Leute Joachim Prölß abweisen musste, weiß er nicht mehr, aber es waren eine ganze Menge. Das Uniklinikum Hamburg-Eppendorf hat nach der Umstellung von Zivis auf Bufdis etwa die Hälfte der Stellen verloren. »Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir so viele Anfragen bekommen«, sagt Pflegedirektor Prölß. Über 60 Prozent davon seien Frauen. »Bufdis sind hoch motiviert und viel verbindlicher als früher die Zivis«, sagt er. Viele nähmen die Zeit als Berufsorientierung, um später in die Pflege zu gehen. Eine Ablehnung sei darum dramatisch.
»Wir empfehlen, langfristig zu denken«, sagt Antje Mäder, Sprecherin des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben - früher das Bundesamt für Zivildienst. Man könne nicht davon ausgehen, im nächsten Monat eine Stelle zu haben.
Lukas Hauptmann ist Bufdi im Uniklinikum München. Er will Lebenserfahrung sammeln. Er hilft in der Abteilung mit Nieren- und Lungenpatienten wo er kann, nimmt sich Zeit, hört zu, spricht mit den Patienten. »Man lernt so viel über Menschen«, sagt der 17-Jährige. In aller Herrgottsfrühe aufstehen, auch mal schwer heben, und trotzdem geht er jeden Tag gerne zur Arbeit. Im August ist Schluss. »Leider«, sagt er. Aber in der Pflege verdiene man zu wenig. Schließlich will er mal Familie haben.
Selbst wenn der junge Mann verlängern wollte, hätte er schlechte Karten. Die budgetierten Gelder seien ausgeschöpft, sagt der Pflegedienstchef Alfred Holderied. »Das ist äußerst bitter, wenn wir auf eingearbeitete Helfer verzichten müssen.«
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