Des Ortes SEELE
Christian Stückl inszeniert Shakespeare in Oberammergau
nd: Christian Stückl, passt Shakespeare zu Oberammergau?
Shakespeare passt immer. Seit ich Anfang der 80er Jahre in Oberammergau mit einer von mir gegründeten Theatergruppe den »Sommernachtstraum« aufführte, begleitet mich der geniale Engländer, den ich inzwischen sogar in Indien inszeniert habe.
Am kommenden Freitag bringen Sie mit »Antonius und Cleopatra« Shakespeare erstmals auf die Bühne des legendären Oberammergauer Passionsspielhauses. Erfüllt sich damit Ihr ureigenster Sommernachtstraum?
Der Gedanke an William Shakespeare hat mich eigentlich nie losgelassen, wenn ich in der großen Halle des Spielhauses mit der 45 Meter breiten Freiluftbühne stand. Und etliche Stücke wie »Der Sturm« oder »Hamlet« scheinen wie geschaffen für die imposanten Möglichkeiten und die unvergleichliche Atmosphäre in dieser Stätte. Nach den Passionsspielen 2010 und Thomas Manns »Joseph und seine Brüder« 2011 erschien mir deshalb bei der Suche für unser diesjähriges Sommertheater »Antonius und Cleopatra« als verlockende Herausforderung
Die Geschichte von der obsessiven Liebesbeziehung zwischen dem römischen Feldherrn und der ägyptischen Königin ist zweifellos eine der gewaltigsten Tragödien Shakespeares. Aber im Unterschied beispielsweise zu »Hamlet« wird sie selten gespielt und gilt als schwer zu inszenieren.
In der Tat: Es war und ist Schwerstarbeit. Schwerstarbeit, die aber riesigen Spaß macht. Auch, weil der erste Teil des Stücks überraschende komödiantische Elemente enthält. Strukturiert wird er vor allem durch Cleopatras Boten, die sozusagen die Knoten im Netz schürzen, mit dem die Nilherrscherin den stolzen Römer schließlich fest im Griff hat. Eine Herausforderung für Regie und Ensemble ist vor allem der zweite Teil, in den Shakespeare den vom antiken griechischen Autor Plutarch überlieferten Geschichtsstoff als geballte Ladung gepackt hat. Hinzu kommen die großen Schlachten, die das Publikum nicht sieht und deren Verlauf und Resultat ihm durch bezeugende Akteure vermittelt werden müssen.
Was die Akteure betrifft - werden wieder ausschließlich Laiendarsteller aus Oberammergau auf der Besetzungsliste stehen?
Bei den Passionsspielen ist das ja seit fast 380 Jahren so. Ab Ende des 19. Jahrhunderts wuchsen zudem Bestrebungen, in der neunjährigen Pause zwischen zwei Passionen die Tradition dieses veritablen Volkstheaters mit anderen Aufführungen zu erweitern und zu vertiefen. Dieser Intention folgend, spielten Oberammergauer 2005 das alttestamentliche Stück »König David«, 2007 Stefan Zweigs »Jeremias« und im vorigen Jahr den »Joseph«. Immer mit unseren Leuten, unserem Orchester, unserem Chor. Auch die beiden Jesus-Darsteller der Passion 2010, Andreas Richter und Frederik Mayet, sind diesmal ein weiteres Mal dabei: als die römischen Antipoden Antonius und Octavius. Cleopatra wird gespielt von Barbara Dobner, der Maria Magdalena von 2010.
Regisseur Peter Zadek, für den Shakespeare ein »Theatergott« war, postulierte, dessen Stücke verlangten immer wieder nach einer neuen Interpretation.
Ein »Theatergott«, dem man sich allerdings, wie gerade Zadek bewies, ganz ohne jedes Dogma nähern kann. Und der auch heute erstaunlich aktuell ist. Die ganze Konstellation, die sich mit und nach der Ermordung des diktatorisch ambitionierten Cäsar entrollte; der Ruf nach einem neuen System, nach revolutionärem Wandel; das Triumvirat von Octavius, Antonius und Lepidus, das nach blutigen und verlustreichen Machtkämpfen als Alleinherrschaft des Octavius, des neuen Cäsar, endete - das alles findet sich entsprechend abgewandelt auch in gegenwärtiger Politik, nicht zuletzt im einstigen Land der Pharaonen und der gesamten dortigen Region. Der Kampf um die Macht ist ein ewiges Thema.
Von Liebe kann dabei allerdings in der Regel keine Rede sein.
Genau das macht diese antike Konstellation ja so einzigartig: die das Verhängnis nachgerade erzwingende zerstörerische Leidenschaft zwischen Antonius und Cleopatra. Zumal die beiden ja nicht der befreienden Losung »Make love, not war« folgen, sondern »love a n d war« praktizieren. Diese Verbindung von Liebe und Krieg erweist sich am Ende für sie als tödlicher Mix. Und - im Unterschied zur Tragödie von Romeo und Julia - mit einschneidenden Folgen für die restliche Welt.
In Oberammergau setzen Sie auf klassische Inszenierungen mit aufwendigem Bühnenbild und prächtigen Kostümen im Kontext der historischen Handlung. Ein Kontrast zum modernen Regietheater, für das Sie in Ihren Inszenierungen in München, Salzburg oder Hamburg bekannt sind?
Ein Kontrast, ja, aber kein Widerspruch. Shakespeares Stücke haben die Jahrhunderte unbeschadet überdauert, weil er zu jeder Zeit ein moderner Autor war. Auch wenn es vordergründig um historische Ereignisse und Figuren geht - Shakespeare malte auf wunderbare Weise Menschenbilder, deren Farben bis heute nichts von ihrem Glanz und ihrer Frische verloren haben. Zwanghaft aktualisierende Retuschen, mit denen modernes Regietheater bisweilen verwechselt wird, können schnell in plumpen Klamauk abgleiten. Die schiere Größe der Passionsbühne verlangt auch große Auftritte, Massenszenen, Chor und Orchester. Theater muss eben auch passen, in diesem Fall zu Oberammergau, zu seiner Geschichte, seinen Traditionen und - wenn man so will - seiner Seele.
Interview: Ingolf Bossenz
www.passionstheater.de
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