Solidarität als Wirtschaftsmotor
Italiens Kooperativen wirken positiv auf den Arbeitsmarkt und die soziale Integration
»Mit der Kraft der Solidarität und dem Prinzip der Gegenseitigkeit zeigen die Kooperativen, dass es möglich ist, einander zu helfen und Profit und Ethik miteinander zu verbinden«, diese lobenden Worte äußerte Italiens Außenminister Giulio Terzi beim Festakt zu Ehren des heutigen Internationalen Genossenschaftstags. Wohlwollende Worte, die der Minister in einer politisch und vor allem wirtschaftlich angespannten Situation des Landes fand.
Erst am Vortag hatte das Kabinett weitere einschneidende Kürzungen des öffentlichen Haushaltes beschlossen: 60 Provinzen sollen mit ihren Nachbarn vereinigt und ihre bisherigen Administrationen aufgelöst werden. Viele staatliche Krankenhäuser stehen vor einer Schließung. Mit den Maßnahmen will die Regierung Mario Montis den Weg für das Einsparen weiterer 26 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren freimachen.
Gerade in Zeiten, in denen unkontrollierte Finanzaktionen an den Märkten zu einer weltweiten Krise geführt haben, scheint das Genossenschaftsmodell eine wirkliche Alternative. In Italien gibt es zurzeit etwa 80 000 Genossenschaften - Zusammenschlüsse von Landwirtschaftsbetrieben, kleinen Handwerksunternehmen oder mittelständischer Industrie bis hin zu den großen Handelsketten, die unter dem Namen Coop firmieren, oder genossenschaftlichen Banken wie der Banca Populare.
Was zeichnet die Kooperativen gegenüber den anderen Wirtschaftsformen aus? In der italienischen Verfassung wird im Artikel 45 die soziale Verantwortung der Genossenschaften hervorgehoben und unterstrichen, dass diese den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Das gemeinsame Wirtschaften sowie die gemeinsame Verantwortung für Gewinn und Gewinnverwertung wirken stabilisierend auf die Betriebe.
Das Genossenschaftswesen ist auch ein wichtiger ökonomischer Faktor. Wie der Präsident der Allianz der Italienischen Genossenschaften (ACI), Luigi Marino, darstellte, erwirtschafteten die zwölf Millionen Genossenschaftler im vergangenen Jahr einen Wirtschaftswert von insgesamt 140 Milliarden Euro. Die wirtschaftlichen Verluste innerhalb der Kooperativen hielten sich dagegen in Grenzen.
Die Genossenschaften hatten sogar einen positiven Effekt auf den italienischen Arbeitsmarkt: Während die Arbeitslosenquote landesweit im Jahr 2012 auf ein Rekordhoch von 9,6 Prozent stieg, konnten die Genossenschaften diesem Trend entgegensteuern: In den Jahren von 2007 bis 2011 wurden landesweit acht Prozent mehr Arbeitskräfte eingestellt. In anderen Zahlen ausgedrückt: Im genannten Zeitraum wurden in den italienischen Kooperativen fast 1,4 Millionen Arbeitskräfte neu eingestellt.
Statistiken unterstreichen, dass innerhalb der Genossenschaften die meisten Frauen und die meisten Immigranten beschäftigt sind. »Dies ist die Realisierung eines Prinzips der Solidarität und der Gleichberechtigung«, würdigte der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano dieses Resultat.
Die Solidarität, die dem Genossenschaftswesen innewohne, so ACI-Präsident Marino, könne Europa ein Beispiel für den Ausweg aus der gegenwärtigen Krise geben. Noch vor 20 Jahren hatte man dem Glauben angehangen, ein ideologiefreies Europa könne eine demokratische und gleichberechtigte Entwicklung nehmen. Die seither gemachten Erfahrungen hätten jedoch zu erheblicher Desillusionierung geführt, so der Kooperativen-Präsident. Das gegenwärtig praktizierte Wirtschaften auf Schuldenbasis sei verantwortungslos und nicht nachhaltig. Wolle man den zukünftigen Generationen eine funktionierende Wirtschaft hinterlassen, so müsse man neue Formen des Miteinanders finden.
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