Büroklammern verteilen oder sinnvoller Zivildienst

Israels Regierung muss bis Monatsende ein Gesetz für Wehrgerechtigkeit beschließen

  • Oliver Eberhardt, Tel Aviv
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Wehrdienst in Israel steht vor einschneidenden Veränderungen: Bis Ende des Monats muss das Parlament die Dienstpflicht für ultraorthodoxe Juden und Araber gesetzlich geregelt haben. Das Ergebnis wird wohl die Einführung eines Zivildienstes sein.

Als sich am Samstagabend in Tel Aviv Zehntausende zu einer Großdemonstration versammeln, ziehen in Jerusalem die Ultraorthodoxen durch das Damaskus-Tor in Richtung der Klagemauer, um die neue Woche zu begrüßen. In den Geschäften entlang des Weges schuften junge Araber bis spät in die Nacht, wie sie es immer tun.

Und an der Zentralen Busstation im Westen der Stadt ist Eran Gur, 20, auf dem Weg zu seiner Militärbasis, irgendwo tief im Süden, zwischen Gaza-Streifen und Ägypten. Seit einem Jahr macht er das nun schon, Woche für Woche, und zweieinhalb weitere Jahre werden noch folgen: »Ich zähle jeden einzelnen Tag«, sagt er, »vielleicht würde ich das nicht tun, wenn das, was ich tue, wichtig wäre, aber ich bin in der Materialverwaltung - ich verteile Büroklammern und Kugelschreiber.« Wenn er nicht los müsste, um morgen pünktlich 7 Uhr am Schreibtisch zu sitzen, sagt er, dann wäre er jetzt auch in Tel Aviv, um zu demonstrieren.

Dort ist die Stimmung eine Stunde später hitzig. Schnell wird deutlich: Die meisten der nach offiziellen Angaben rund 20 000 Demonstranten sind keine Militaristen; sie wollen eine gerechtere Verteilung der Dienstpflicht auf die Schultern aller Staatsbürger, also auch auf die von israelischen Arabern und ultraorthodoxen Juden.

Bisher waren diese beiden Gesellschaftsgruppen vom Wehrdienst freigestellt: Israels Araber auf Grund eines Notstandsgesetzes aus den 50er Jahren; die ultraorthodoxen Juden auf der Grundlage einer jahrzehntealten Übereinkunft zwischen Regierung und ultraorthodoxen Parteien. Als 2002 der Oberste Gerichtshof diese Praxis erstmals für unzulässig erklärt hatte, wurde das sogenannte Tal-Gesetz verabschiedet, das Ultraorthodoxen finanzielle Vorteile anbietet, wenn sie einen einjährigen Zivildienst oder einen verkürzten 16-monatigen Wehrdienst absolvieren. Im Februar kassierte der Oberste Gerichtshof auch dieses Gesetz. Nun hat die Regierung noch bis Ende des Monats Zeit, um in einem Gesetz eine faire Verteilung der Dienstpflicht zu regeln. Doch die religiösen Parteien in der Regierungskoalition würden gern alles so belassen, wie es ist.

Dagegen steht die Partei Jisrael Beitenu (Unser Haus Israel) von Außenminister Avigdor Lieberman, die alle - Säkulare, Pazifisten, Religiöse und Araber - zum Militär oder in einen Zivildienst schicken möchte und damit Zustimmung bei der Koalitionspartei Kadima und nahezu der gesamten Opposition bis hin zu den arabischen Parteien findet: »Ich kann nichts Schlechtes daran finden, wenn unsere Jugend ein paar Monate ihres Lebens in einem Krankenhaus oder bei der Feuerwehr dient«, sagt Jamal Zahalka, Vorsitzender der arabischen Partei Balad.

Für die meisten Demonstranten in Tel Aviv wäre das wohl ebenfalls in Ordnung. Viele sagen, dass sie sich von einer Ausweitung der Zahl der Wehrpflichtigen eine Verkürzung der Dienstzeiten erhoffen. Und nicht wenige erwarten, dass mit einem Zivildienst für Araber und Ultraorthodoxe auch eine Verweigerungsmöglichkeit für alle jene kommen wird, die derzeit nur die Wahl zwischen Militär und Gefängnis haben.

Was auch das Militär begrüßen würde: Dort weiß man schon jetzt mit den rund 160 000 Militärangehörigen kaum etwas Sinnvolles anzufangen; immer wieder mahnt die Militärführung, der Wehrdienst sei zu lang und die Zahl der Wehrpflichtigen viel zu hoch. Denn: Statistiken zufolge tun 56 Prozent der Wehrpflichtigen Jobs wie den von Eran Gur, verteilen Sachen, fahren Dinge hin und her oder, wie es vor einem Jahr in einem Bericht an die Regierung hieß, »kochen Kaffee für Offiziere, die eine Besprechung nach der anderen über die nächste Bestellung von Notizblöcken halten«.

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