Ertasten verboten
EU-Kommission gegen Sonderregelungen zugunsten Sehbehinderter im Urheberrecht
Als eine Beleidigung für die 285 Millionen Menschen mit Sehbehinderung, die ihr Verband vertritt, bezeichnete Maryanne Diamond von der Weltblindenorganisation die Verzögerungspolitik der US-Regierung und der EU-Kommission. Es geht um die Beschränkung des Urheber- und Verwertungsrechtes zugunsten von Blinden und Sehbehinderten. Ausnahmeregelungen würden es ermöglichen, urheberrechtlich geschützte Werke schneller in Blindenschrift oder in maschinenlesbare beziehungsweise hörbare Formate umzuwandeln.
Dies würde dem allgemein anerkannten Anliegen, der Diskriminierung von Sehbehinderten und Blinden entgegenzutreten, entgegenkommen. Für die Ausnahmeregelungen hatte sich auch das EU-Parlament eingesetzt. Die Verhandlungen schienen auf einem guten Weg. Für 2013 war eine internationale Vertragskonferenz mit der World Intellectual Property Organisation (WIPO) in Genf geplant. Umso überraschter sind nun Interessenverbände der Sehbehinderten über die Haltung von Maria Martin-Prat, der Leiterin der Abteilung Urheberrecht beim EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Sie hat sich vehement gegen die Sonderregelungen eingesetzt und damit Hoffnungen der Sehbehinderten zunichte gemacht. Die Betroffenen sehen darin einen Erfolg der Lobby der Rechteinhaber.
Dieser Kritik schließen sich auch Nichtregierungsorganisationen an. So äußerte das Direktorium von Knowledge Ecology International (KEI), die Vertreter der USA und der EU agierten bei den Verhandlungen »wie von den großen Verlagen gesteuert«. An dieser Frage lasse sich auch ein großes Demokratiedefizit feststellen. Während das gewählte EU-Parlament eine verbindliche Schrankenregelung zugunsten Sehbehinderter unterstützt, würden sich Fachleute wie Martin-Prat darüber hinwegsetzen.
EU-Kommissar Barnier sieht die Verantwortung bei den EU-Mitgliedsländern. Sein Sprecher Stefaan De Rynck erklärte gegenüber dem Internetportal »heise online«, Barnier sei »entschlossen, die ungerechtfertigte Diskriminierung von sehbehinderten Menschen zu bekämpfen, aber die Kommission kann das nicht effektiv tun, solange sie von den Mitgliedstaaten nicht mit einem Verhandlungsmandat ausgestattet ist«. Auf Grundlage der im EU-Parlament verabschiedeten Petition muss Barnier jede Regierung nach ihrer Position befragen. Der Europäische Blindenverband (EBU) hat dies bereits getan und listet Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien und Litauen als Gegner der Sonderregelung auf.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.