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Spagat überm Moor

Im Nordosten sollen 70 000 Hektar »wiedervernässt« werden - Licht und Schatten eines ehrgeizigen Plans

  • Roland Heine, Greifswald
  • Lesedauer: 7 Min.
Ausgerechnet im Dorf von »Moorpapst« Michael Succow gibt es Protest gegen Pläne der Schweriner Landesregierung zur Moor-Renaturierung. Die Umsetzung des bislang erfolgreichen Moorschutzprogramms wird auch andernorts schwieriger.
Das Nein kommt per e-Mail: »In dieser Angelegenheit gebe ich zur Zeit keine Interviews«, lässt der Chef des Wasser- und Bodenverbandes (WBV) von Ryck und Ziese, zwei Flüsschen bei Greifswald, wissen. Ein Amtskollege - es gibt 27 WBV in Mecklenburg-Vorpommern - stöhnt am Telefon auf: »Lassen Sie uns da raus!« Ja, bei ihm habe es geklappt mit der Renaturierung der Moore, aber als positives Beispiel wolle man nicht präsentiert werden, die Stimmung in Sachen Moor habe sich ins Negative gedreht im Land.

Die Aufregung gilt einem Großprojekt der Landesregierung in Schwerin, dem im Jahr 2000 gestarteten Moorschutzprogramm. Es reicht bis 2020 und umfasst - neben dem Erhalt intakter Moore - abgestufte Renaturierungsmaßnahmen für insgesamt 70 000 Hektar entwässerter Moore, teils mit vollständiger Wiedervernässung. Rund vier Millionen Euro stellen Land und EU jährlich dafür bereit. Die WBV - Zweckgemeinschaften von Landwirten, anderen Bodeneigentümern und Gemeinden zur Regelung von Gewässerfragen - spielen bei der Umsetzung eine wichtige Rolle.

Malerisch windet sich die Peene durch die urwüchsige Landschaft, links und rechts große Moorflächen, ein Paradies für seltene Tiere und Pflanzen. Geister, Hexen, Irrlichter - Moore sind bis heute für manchen ein unheimlicher Ort geblieben. Mecklenburg-Vorpommern ist, auf die Landesfläche gerechnet, mit 300 000 Hektar das moorreichste Bundesland. Doch die meisten wurden im Laufe der Jahrhunderte entwässert, insbesondere in den 1960/70er Jahren, als es auch in der DDR vorrangig darum ging, Futterflächen für die Milchviehhaltung zu gewinnen.

»Moore sind wichtig für den Klimaschutz, den Wasserhaushalt und den Naturschutz«, erklärt Uwe Lenschow, Moorprogramm-Experte am Landesumweltamt (LUNG) in Güstrow. »Sie speichern Kohlenstoff und Stickstoff. Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen spielen bei der Erderwärmung eine zentrale Rolle. Aber 99 Prozent der deutschen Moore sind nicht mehr intakt, geben Gas frei.« Für Lenschow hat das Konzept des Landes auch eine internationale Dimension. Solche Programme seien die Legitimation dafür, bei jenen Staaten, die noch große intakte Moorflächen haben, auf deren Erhalt zu drängen.

Im Gefolge der Entwässerung geben die Moorflächen Mecklenburg-Vorpommerns derzeit jährlich 6,2 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalente frei - das ist fast soviel wie der Ausstoß durch den Straßenverkehr im Nordosten. Seit Programmbeginn, sagt Lenschow, sei es immerhin gelungen, die Moor-Emissionen um 300 000 Tonnen pro Jahr zu senken. Die entsprechenden Moorflächen wurden für die Renaturierung entweder durch das Land angekauft - oder es wurde mit dem Eigentümer eine »nasse« Nutzung vereinbart. Dabei steht das Wasser etwa 20 Zentimeter unter der Oberfläche, was etwa den Anbau von Röhricht oder Ried ermöglicht. »In jedem Fall gilt strikt das Freiwilligkeitsprinzip«, betont Lenschow.

Im Peenetal ist die Umsetzung weit gediehen. Vor 20 Jahren noch gab es im Uferbereich viele eingedeichte Polderflächen, die unter anderem als Weiden dienten. Heute tummeln sich dort Wasservögel und Fischotter. In Reisekatalogen ist schon vom »Amazonas des Nordens« die Rede.

»Wir haben hier schon 1992 mit einem Naturschutzgroßprojekt begonnen«, erklärt Frank Hennicke, der die Umgestaltung seit damals leitet. »Damals waren viele Landwirte froh, die schwierigen Polderflächen an den Zweckverband Peenetal-Landschaft, Träger des Großprojektes, verkaufen zu können. Denn nach der Wende mussten sie die Unterhaltung der Schöpfwerke, Gräben und Deiche plötzlich selbst bezahlen.« Auch hatte sich längst gezeigt, dass die Entwässerung eine Kettenreaktion mit sich bringt: »Die Torfböden fielen immer weiter in sich zusammen, die Wasserleitfähigkeit des Bodens nahm rapide ab, Gräben und Schöpfwerke mussten ständig angepasst werden«, sagt Hennicke. »Und die Erträge wurden immer schlechter.«

Inzwischen sind 8600 Hektar des Peenetales hydrologisch renaturiert, Schritt für Schritt und in ständiger Abstimmung mit Landwirten und Gemeinden, wie Hennicke betont. Im kleinen Menzliner Bootshafen, ziemlich versteckt bei Anklam gelegen, ist zu sehen, was Naturnähe einer Region bringen kann: Mitten in der Woche herrscht am Imbisshäuschen Hochbetrieb. »13 000 Gäste«, sagt Hennicke, »sind 2011 gekommen. Die Führungen durch den Naturpark und die touristischen Angebote hier sind sehr gefragt.«

Was im Peenetal - wohl auch dank Hennickes Kommunikationstalents - gelang, klappt nicht überall so gut. Dabei spielt der Zeitfaktor eine wichtige Rolle, wie Lenschow erklärt: »Die bisher für den Moorschutz gewonnenen Flächen liegen meist sehr tief, wurden mit Hilfe von Pumpwerken entwässert und waren deshalb in der Bewirtschaftung sehr kostspielig. Jetzt geht es oft um für die Bauern günstiger zu bewirtschaftende Areale. Zudem ist das Eigentümerbewusstsein gewachsen. Und angesichts der wirtschaftlichen Gesamtlage fragt sich sowieso mancher, ob es klug ist, jetzt Flächen aus der Hand zu geben oder deren Nutzung grundlegend umzustellen«, sagt Lenschow. »All das beeinflusst natürlich die Stimmung in den Dörfern.«

Auch steigen die Preise für Acker rasant. Zudem werden laut EU-Beschluss seit 2005 Förderprämien nicht mehr produktbezogen bezahlt, sondern pro Hektar bewirtschaftete Fläche.

Doch auch andere Probleme haben offenbar zugenommen. Der Bauernverband beklagt, dass die Auswirkungen von Moorprojekten auf angrenzende Flächen zu wenig berücksichtigt werden. Mancherorts stieg das Wasser auch in Siedlungen, Keller liefen voll. Und nicht überall ändert sich die Landschaft in den Augen der Einwohner zum Positiven - vor allem wenn wegen des zurückkehrenden Wassers großflächig Bäume absterben.

Das kleine Wackerow am Ryck bei Greifswald ist so ein Problemfall - ausgerechnet der Wohnort des renommierten Ökologen Michael Succow, bisweilen auch »Moorpapst« genannt. »Moor-Erweiterung - ohne uns!« steht auf Transparenten im Ort, vor einem Gehöft ist an einer Stange gar eine große Strohpuppe in blauer Arbeitsmontur aufgehängt: »Ich bin ein Opfer der Moorerweiterung« ist darunter zu lesen.

Dabei geht es um das kleine Kieshofer Moor, ein Naturschutzgebiet. Das Moor wurde laut Gemeinde einst mit 21,6 Hektar ausgewiesen und gehört als Forschungsobjekt der Universität Greifswald. Die Probleme gehen zurück auf das Jahr 1994, als der Landkreis dem Amt für Umwelt und Natur Ueckermünde die Erlaubnis zum Bau eines Staus am Nordrand des Moores gab. Mit dem Stau, so die spätere Erklärung, sollte der Wasserstand des Moorkörpers erhalten werden. Doch gebaut wurde er an anderer Stelle als vorgesehen: an einem Abflussgraben, der überschüssiges Wasser aus dem NSG abgeleitete.

»Erst haben wir davon gar nichts mitbekommen«, erzählt Thomas Propp, dessen Haus am Südrand des Moores liegt. Weder Anwohner noch Gemeinde seien informiert worden, ein Planfeststellungsverfahren habe es nicht gegeben. »Aber mit den Jahren wurde es immer feuchter, Keller und Klärgruben liefen voll, angrenzende Agrarflächen versumpften.« Auch Propps Grube musste zeitweilig stillgelegt werden. Er zeigt auf die toten Bäume am Moor - selbst auf Waldflächen, die weitab liegen, sterben inzwischen Eichen wegen des Wassers ab. »Derzeit sind 50 Hektar vernässt«, sagt Propp.

Die Situation spitzte sich zu, die Gemeinde forderte, den illegalen Staudamm abzureißen, die frühere Situation wiederherzustellen. Doch die Behörden, so sah man es in Wackerow, wollten das Ganze aussitzen. 2010 dann wurde entschieden, im Rahmen eines Flurneuordnungsverfahrens und des Moorschutzprogramms eine Lösung zu suchen. Doch was die Wackerower nun präsentiert bekamen, sorgte erst recht für Empörung. »Das läuft auf eine Ausweitung des Moores auf vielleicht sogar 80 Hektar hinaus«, sagt Propp.

Die Lage ist verfahren. Der Zusicherung des Landesumweltamtes, zusammen mit dem Moorschutz auch das Wassermanagement für die Ortslage zu übernehmen, glaubt man in Wackerow nicht. In diesem Frühjahr schließlich erklärte das Landesumweltamt den Ausstieg aus seinen Plänen für Wackerow. Und die Gemeinde klagt inzwischen auf Abbau des fraglichen Staudamms.

»Das Moorschutzprogramm ist wichtig, aber die Bürger werden nicht überall rechtzeitig und umfassend einbezogen«, sagt Mignon Schwenke, Vizefraktionschefin der LINKEN im Landtag und bis zum Regierungswechsel 2006 an der Umsetzung des Moorprogramms beteiligt. »Der Nutzen für die Menschen muss erkennbar sein, Fehler müssen zugegeben werden. Und es muss möglich sein, ein Projekt nach den Wünschen der Anwohner zu ändern.« Für die Verwaltung stehe zu oft im Vordergrund, gerichtsfest zu entscheiden.

Im Fall Wackerow hat dieser Tage das Schweriner Umweltministerium eingegriffen. Geld aus dem Moorschutzprogramm der EU soll locker gemacht werden, um die Vernässungsprobleme zu lösen. Von einem Neuanfang ist die Rede. Thomas Propp ist gespannt.

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