Vier Stunden Vientiane nach 57 Jahren
Bis heute versucht Washington, das Erbe seines »geheimen« Krieges in Südostasien zu verdrängen
Zum ersten Mal seit der Gründung der Volksdemokratischen Republik Laos im Jahre 1975 erhielt das Land derart hochrangigen Besuch aus den USA. Man könnte auch sagen: zum ersten Mal seit der US-amerikanischen Niederlage im Krieg gegen die Völker Indochinas. Das Erbe ihres grausamen geheimen Krieges in Laos versuchen die USA jedoch bis heute zu verdrängen. Die »New York Times« verknüpfte den Besuch Hillary Clintons in Vientiane denn auch lieber mit der ersten offiziellen Reise eines Washingtoner Außenministers nach Laos, der von John Foster Dulles im Jahre 1955.
Aber auch dieser Bezug ist verräterisch. Dulles hatte vor 57 Jahren versucht, das damalige Königreich Laos vom Wege der Neutralität abzubringen, der auf der Genfer Konferenz 1954 festgeschrieben worden war, und das Land in den USA-hörigen Südostasien-Pakt (SEATO) zu ziehen.
Als Finanzier des französischen Kolonialkrieges in Indochina (1951-54) übernahmen die USA seinerzeit Schritt für Schritt alle Positionen, die Frankreich aufgeben musste. Verärgert mussten sie allerdings feststellen, dass sich die Demokratische Republik Vietnam (DRV) behauptet hatte, dass Kambodscha und Laos neutral bleiben wollten und dass den patriotischen Kräften in Laos, der Pathet Lao, durch die Genfer Abkommen von 1954 eigene Gebiete in den nördlichen Grenzregionen zu Vietnam zugesprochen worden waren. Im politisch instabilen »Königreich der Million Elefanten« mit einer 2,5-Millionen-Bevölkerung sahen die USA damals das schwächste Glied im Widerstand gegen ihre neokolonialen Pläne. Mit der Übernahme der Kontrolle über das Land sollten der »Hintereingang« zur DRV geöffnet und deren Verbindung zur Widerstandsbewegung in Südvietnam gekappt werden.
Im benachbarten Thailand hatten die USA bereits entscheidenden Einfluss auf Polizei und Streitkräfte gewonnen, die sich 1957 an die Macht putschten. Dort wurden große Stützpunkte für die US-Air Force und die CIA eingerichtet.
Die laotische Armee wurde zu einer Stärke von 50 000 Mann aufgeblasen und »zur einzigen Armee in der Welt, die komplett von den USA bezahlt wurde. In Verbindung damit entstand eine neue Klasse korrupter und opportunistischer Offiziere«, schrieb der britische Autor Christopher Robbins in seinem Buch »The Ravens - Pilots of the Secret War in Laos«. Mit hohen finanziellen Zuwendungen habe sich die CIA »eine neue laotische Regierung gekauft«. Die Leiter des CIA-Büros in Vientiane setzte untere Ränge der Botschaftsdiplomaten ein, um Geldkoffer an Regierungsmitglieder zu überbringen, berichtete John Gunther Dean, einer der Diplomaten, der später Botschafter der USA in Thailand, Indien und Kambodscha wurde.
Von ihren Vorgängern übernahmen die USA auch die Verbindungen zu Stammesführern der nationalen Minderheit der Hmong (damals Meo genannt), die als geheime Kampfeinheiten an der Seite der französischen Kolonialarmee gekämpft und Opium zur Finanzierung des Krieges geliefert hatten.
Diese Aktivitäten führten zu Zerfallserscheinungen in der politischen und militärischen Elite des Landes - bis hin zu Spaltungen in der Armee, wo sich Protest gegen die Abhängigkeit von den USA regte. Teile der Neutralisten liefen schließlich ins Lager der Pathet Lao über.
Um ihren Einfluss zu wahren und die legitime Regierung zu stürzen bildeten die USA eine »Gegenregierung« aus proamerikanischen Kreisen des Adels und der reaktionären Militärs und erwirkten eine Wirtschaftsblockade durch Thailand. In dieser Notlage wandte sich die Regierung in Vientiane mit einem Hilfsappell an alle Staaten, die bereit waren, Unabhängigkeit und Neutralität des Königreichs zu achten. Die Sowjetunion und andere sozialistische Länder stellten diplomatische Beziehungen zu Laos her und leisteten Hilfe vor allem durch Nahrungsgüterlieferungen.
Dem begegneten die USA Anfang 1961 mit der militärischen Einnahme der laotischen Hauptstadt durch die »aufständischen Militärs« unter Anleitung amerikanischer Militärs und mit Unterstützung zusätzlicher Söldner aus Südvietnam und Thailand.
Die sozialistischen Staaten, unterstützt durch Indien, Indonesien, Ägypten und andere Nichtpaktgebundene, verstärkten die Forderung nach einer internationalen Konferenz zur friedlichen Lösung des Konflikts in Laos. Selbst Großbritannien und Frankreich äußerten ihre Unzufriedenheit über die Politik der USA.
Die Konferenz tagte vom 16. Mai 1961 bis zum 23. Juli 1962 in Genf. Auch die USA nahmen daran teil und unterzeichneten die Verpflichtung, Unabhängigkeit, territoriale Integrität und Neutralität von Laos zu achten und keine militärischen Kräfte im Lande zu stationieren. Tatsächlich aber hielt Washington unbeirrt an seinem Kurs fest. Wie inzwischen geöffnete Akten beweisen, waren die USA schon zur Zeit der Amtsübernahme von Präsident John F. Kennedy im Januar 1961 zu einem großen Krieg in Südostasien bereit.
Durch Fernsehauftritte Kennedys wurde eine geradezu hysterische Sorge um Freiheit, Demokratie und Sicherheit der USA für den Fall geweckt, dass dem Vorrücken des Kommunismus im kleinen Laos nicht Einhalt geboten würde. Ziel blieb die Erlangung der Kontrolle über ganz Südostasien.
Für 1961 sah der Plan zunächst vor, die Positionen der Pathet Lao durch B-26-Bomber und Einheiten der geheimen Hmong-Armee im Zusammenwirken mit US-amerikanischen Bodentruppen zu liquidieren, sobald die Invasion in der kubanischen Schweinebucht angelaufen war. Das Kuba-Fiasko im April 1961 vereitelte jedoch den offenen Angriff auf Laos. Truppen und Ausrüstungen blieben indes in der Region und wurden noch während der Genfer Konferenz um 5000 Soldaten in Thailand verstärkt, wie der US-Amerikaner Keith Quincy in seinem Buch »Harvesting Pa Chay's wheat - The Hmong & America's Secret War in Laos« schreibt.
Die USA orientierten sich nun auf einen Krieg in Vietnam, dessen »Nebenschauplatz« Laos sie dem Geheimdienst CIA zuordneten, um den Schein der Akzeptanz der Genfer Abkommen zu wahren. Insgeheim wurde laut Quincy eine Hmong-Armee von über 30 000 Mann ausgerüstet, geheime Flugplätze wurde in den Bergregionen errichtet, darunter ein moderner Militärflughafen für Transportflugzeuge und Kampfjets etwa 150 Kilometer nördlich von Vientiane.
Zum Bürochef der CIA in Vientiane wurde der vormalige Leiter der Geheimdienstfiliale in Westberlin ernannt, der nach dem 13. August 1961 dort offenbar abkömmlich war. Der Mann sah seine neue Aufgabe darin, durch Angriffe auf den Ho-Chi-Minh-Pfad eine entscheidende Rolle im Vietnamkrieg zu spielen. Dazu holte er sich weitere Leute aus der Berliner Niederlassung, die nun für den Bombenregen auf Laos zuständig wurden. (Siehe Tim Weiner: CIA - Die ganze Geschichte. Fischer Taschenbuch Verlag 2012) Aufgabe der CIA war es auch, die bis heute gängige Legende zu verbreiten, wonach Laos nur im Bereich des Ho-Chi-Minh-Pfades bombardiert worden sei. Die barbarische Kriegsführung gegen die laotische Bevölkerung wird offiziell noch immer geleugnet. Von 6,7 Millionen Tonnen Bomben, die zwischen 1964 und 1973 über Indochina abgeworfen wurden, fielen 2,1 Millionen Tonnen auf Laos. Noch heute lauern etwa 80 Millionen Streubomben-Sprengkörper in laotischen Wäldern und auf den Feldern als Gefahr für die Bevölkerung.
Warum, in wessen Interesse wurde dieser Wahnsinn betrieben? In den USA wird die dominante Interessenlage des Militärisch-Industriellen Komplexes nur selten offen angesprochen. Als der innenpolitische Druck auf Präsident Richard Nixon wuchs und man nach einem »ehrenhaften Austritt aus dem Vietnamkrieg« suchte, genügte manchem zu dessen Begründung der Kampf für »Freiheit, Demokratie und gegen den Kommunismus« längst nicht mehr. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Joan Robinson erklärte die Verhältnisse in den USA vor der American Economic Association im Dezember 1971 so: »Die Ausgaben für Bewaffnung waren und sind die bequemste Sache für die Regierung. Auf diese Weise konnte der Militärisch-Industriellen Komplex die Kontrolle übernehmen. Ich glaube nicht, dass der Kalte Krieg und einige heiße Kriege speziell erfunden wurden, um unsere Beschäftigungsprobleme zu lösen. Aber ganz sicher hatten sie diese Wirkung.« (»Monthly Review«, New York, Oktober 2008.)
Schon im Mai 1963 hatten - wie der bereits zitierte Christopher Robbins schreibt - Stabsmanöver der US-Militärchefs in Washington eindeutig ergeben, dass die USA einen Krieg in Vietnam nach hohen Verlusten an Menschen, Geld und Material etwa 1972 verlieren würden.
Auch im Falle Afghanistans war bekannt, dass bisher alle Imperien an diesem Lande gescheitert waren. Nach Auffassung vieler Beobachter finden sich Muster der Kriegsführung der USA im Vietnamkrieg auch in den gegenwärtigen Kriegen wieder. Die 1971 in der American Economic Association erläuterte Interessenlage öffnet die Augen für die Frage, warum auch der Krieg in Afghanistan wieder unter der Losung der Verteidigung von »Freiheit und Sicherheit des Westens« geführt wird, und das schon seit mehr als 10 Jahren.
Die gegenwärtige Offensive der USA in Südostasien wird noch mit »weichem Ball« geführt. Washington scheint auf Sorgen und Probleme dieser Länder einzugehen. Bisher hielten sie sich bei der Beseitigung von Blindgängern in Laos sehr zurück. Nach eigenen Berechnungen spendeten sie dafür durchschnittlich 2,6 Millionen Dollar pro Jahr, während von 1964 bis 1973 täglich 13 Millionen Dollar für den Krieg eingesetzt wurden. Jetzt versprach Hillary Clinton, künftig mehr zu tun. Dafür verpflichtete sich Laos, die Suche nach den Überresten von 300 seit dem Krieg vermissten US-Amerikanern zu intensivieren.
Die laotische Seite brachte ihre Hoffnung auf einen »konstruktiven Beitrag der USA zur Zusammenarbeit in dieser Region« zum Ausdruck. Skepsis klingt aus diesen Worten, und die ist vor dem Hintergrund laotischer Erfahrungen durchaus verständlich.
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