Verleugnete Nazi-Opfer I
Fulda: Antifaschisten bemühen sich um Aufklärung im Fall Dorit B.
Heute jährt sich zum elften Mal der Mord an der Fuldaer Geschäftsfrau Dorit B. Die 54-Jährige war am 17. August 2001 in dem von ihr betriebenen Military-Shop im Zentrum der osthessischen Stadt erstochen worden. Der Täter wurde wenige Stunden nach der Tat verhaftet. Der zur Tatzeit 18-jährige Thüringer wurde vom Landgericht Erfurt nach Jugendstrafrecht wegen Mord aus Habgier verurteilt. Dorit B. habe den jungen Mann dabei ertappt, als er Bekleidungsstücke im Wert von etwa 1000 Euro aus dem Laden entwenden wollte, so die Anklagebehörde.
Naziaufmarsch im bayerischen Wunsiedel
Die »Fuldaer Zeitung« schrieb schon kurz nach der Tat: »Für eine Verbindung zur rechten Szene gibt es nach den bisherigen Ermittlungen keine Anhaltspunkte«. Doch Antifaschisten recherchierten weiter und veröffentlichten die Ergebnisse auf der Onlineplattform www.fuldawiki.de.
Am Tatwochenende mobilisierte die Naziszene bundesweit zu einem Aufmarsch zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess ins bayerische Wunsiedel. Fulda fungierte damals als einer der Orte, von dem die Rechten Mitfahrmöglichkeiten anboten. War der Täter auf dem Weg zum rechten Aufmarsch und wollte die geklauten Military-Kleidungsstücke dort weiterverkaufen, lautet eine der bisher unbeantwortet gebliebenen Fragen der Antifaschisten.
Der Täter sagte mehrmals aus, dass der Mord an der Fuldaer Geschäftsfrau ein Aufnahmeritual für die Heidenfront war. Diese völkische Strömung kombiniert einen Bezug zu germanischem Heidentum mit der »Blut-und-Boden-Ideologie« des Nationalsozialismus. Das Christentum wird von ihr »als Schwächeanfall des germanischen Volkes« bezeichnet. In verschiedenen skandinavischen Ländern verübten rechte Heiden Brandanschläge auf Kirchen. In Thüringen machte ein Aktivist der neuheidnischen Szene in den 90er Jahren Schlagzeilen, weil er einen 14-jährigen Mitschüler in Sondershausen tötete. Seit mehreren Jahren ist die Heidenfront politisch inaktiv.
»Der rechte Hintergrund des Mörders von Dorit B. spielt auch zehn Jahre nach der Tat noch immer keine Rolle«, so Karin Masche gegenüber »nd«. Sie sitzt für »Die Linke.Offene Liste« im Fuldaer Stadtparlament. In einer Anfrage an den Magistrat der Stadt wollte die Fraktion wissen, ob sie Dorit B. als Opfer rechter Gewalt anerkennt und ihrer gedenkt. In seiner Antwort wollte der Fuldaer Bürgermeister Wolfgang Dippel (CDU) beide Fragen nicht beantworten. »Die Bewertung und Ermittlung zum Tathergang obliegt in der alleinigen Zuständigkeit der Strafermittlungsbehörde, d. h. der Staatsanwaltschaft und allenfalls noch des Verfassungsschutzes«, weist er die Verantwortung der Politik zurück.
Ausweichende Antwort der Bundesregierung
Auch die Linksfraktion im Bundestag wollte in einer Anfrage von der Bundesregierung wissen, warum die Tötung von Dorit B. nicht als politisch motivierte Straftat erfasst wird. In der Antwort weist ein Sprecher der Bundesregierung darauf hin, dass die Zuordnung einer Straftat zur politisch motivierten Kriminalität den Polizeibehörden des Landes, in dem sich der Tatort befindet, obliegt.
Masche will sich auch nach dem Jubiläum weiter um Aufklärung bemühen und dafür kämpfen, dass Dorit B. als Opfer rechter Gewalt gedacht wird.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.