Butterweiches für Knallharte
Karlsruher Entscheidung zum Militäreinsatz im Innern lässt viel Spielraum, wie Bürgerrechtler warnen
Unter strengen Auflagen darf die Bundeswehr bei Terrorangriffen im Inland »militärische Kampfmittel« einsetzen. Dies entschied das gemeinsame Plenum aller Richter des Bundesverfassungsgerichts in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss. Grund der Entscheidung war der Streit um das Luftsicherheitsgesetz der rot-grünen Koalition. Das hatte der frühere Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) auf den Weg gebracht. Mit juristisch oberster Rückendeckung sollte insbesondere bei entführten Flugzeugen als letzte Möglichkeit auch der Abschuss der Maschine möglich sein.
Ein »Job«, der nur vom Militär erledigt werden kann. Wann ein solcher »Katastrophenzustand« besteht, muss auch in Eilfällen die Bundesregierung insgesamt entscheiden. Sie darf diese Aufgabe nicht an den Verteidigungsminister delegieren. Hintergrund ist eine Entscheidung des Ersten Senats vom Februar 2006.
Damals untersagte das Gericht den Abschuss von entführten Passagiermaschinen. Die Richter schlossen den Einsatz von Streitkräften im Inland »mit spezifisch militärischen Waffen« sogar generell aus. Zwar wollte der Zweite Senat in einem weiteren Verfahren dieses Abschussverbot nicht grundsätzlich kippen, wohl aber ging den Richtern die restriktive Haltung ihrer Kollegen vom Ersten Senat zu weit. In solchen Streitfällen wird beim Gericht ein sogenannter Plenarentscheid herbeigefügt, bei dem alle 16 Richter ihr Votum abgeben können. Das wurde in der Geschichte des Gerichts erst fünfmal praktiziert.
Den aktuellen Plenarentscheid hatte der Präsident des Verfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, bereits für Anfang 2011 angekündigt, doch erst jetzt liegt er vor - und er ist ziemlich vage gehalten. Ein Einsatz zur Gefahrenabwehr sei nur zulässig in »Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes«.
Was ist das? Wer definiert es wann wie? Von Terroristen gekaperte Flugzeuge mit Zivilisten an Bord dürfen weiterhin nicht abgeschossen, sondern allenfalls von Kampfflugzeugen mit Warnschüssen zur Landung gezwungen oder abgedrängt werden. Insbesondere sei ein Bundeswehreinsatz mit militärischen Mitteln nicht gegen Gefahren erlaubt, »die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen«. Die Vorgaben des Artikels 87a Absatz 4 des Grundgesetzes sind zu berücksichtigen. Darin heißt es: »Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes« könne die Bundesregierung Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei »beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen«. Der Artikel war schon immer brisant angesichts der historischen Erfahrungen mit dem Einsatz von Militär zur Bewältigung innerer Auseinandersetzungen. Schrittweise werden nun verfassungsrechtliche Beschränkungen weiter aufgeweicht. Bürgerrechtler warnen, dass die butterweichen Formulierungen aus Karlsruhe viel Spielraum für knallharte Demokratiebeschneider einräumen. Auch wenn die Richter sagen, die Beschränkungen des Artikel 87 dürften nicht dadurch umgangen werden, dass Einsätze auf Basis des Katastrophenschutz-Artikels 35 erfolgen.
Die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für solche militärische Einsätze sind längst geschaffen. Die zivil-militärische Zusammenarbeit wurde unter dem Katastrophenschutz-Etikett regional ausgebaut und mehrfach erprobt. Seit Oktober 2003 arbeitet bereits das Nationale Lage- und Führungszentrum für Sicherheit im Luftraum im niederrheinischen Uedem.
Soldaten, Bundespolizisten, die Deutsche Flugsicherung, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sowie bei Bedarf auch Vertreter von Bundeskriminalamt, Länderpolizisten und BND-Agenten beobachten mit Hilfe von 45 Radaranlagen den Luftraum. Sie können den Einsatz von Alarmrotten der Luftwaffe auslösen. Die stehen im Jagdgeschwader 71 (Wittmundhafen) und Jagdgeschwader 74 (Neuburg a. d. Donau) bereit. Nach deren Alarmierung müssen die Flugzeuge innerhalb von 15 Minuten in der Luft sein. In besonderen Lagen kann die Frist auf zehn oder sogar fünf Minuten verkürzt werden.
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