Entwicklung im Sprinttempo

Das Bildungszentrum von HELP Jamaica! in der Hauptstadt Kingston läuft auf vollen Touren

Bildungschancen für Ghettokids: Diese Zielsetzung hat der gemeinnützige Verein Help Jamaica! ausgegeben. Im Februar 2011 wurde das erste Bildungszentrum im Kingstoner Armutsviertel Cassava Piece eingeweiht. Die Resonanz übertrifft alle Erwartungen. Ob jung oder alt - viele Jamaikaner und Jamaikanerinnen sind hungrig nach kostenfreier Bildung.

»Wir haben offenbar vieles richtig gemacht.« So lautet das vorläufige Fazit von Hilmar Keding über die Entwicklung des Bildungszentrums in Cassava Piece, eines in Uptown gelegenen Armenviertels im jamaikanischen Kingston. Diese Einschätzung des Mitgründers und Vorstandsmitglieds des 2008 in Berlin gegründeten Vereins Help Jamaica! lässt sich mit Fakten leicht unterfüttern. Der sichtbarste Ausdruck ist der zweite Klassenraum, der im Februar 2012 - ein Jahr nach der Eröffnung des Bildungszentrums - bereits angebaut werden musste. »Die Jamaikaner mögen keinen Regen. Beim kleinsten Tropfen rennen alle Kids ins Gebäude, und wenn sich dann 70 Kinder auf 100 Quadratmeter drängeln, ist das Chaos perfekt«, begründet der Berliner schlüssig die Notwendigkeit des Vorhabens. Schließlich steht bei allem Spaß und Freude Lernen im Mittelpunkt.

Täglich kommen rund 70 Kinder aus der näheren Umgebung in das Bildungszentrum, das vom Trenchtown Reading Centre (TTRC) inspiriert wurde. Das TTRC wurde von der Kanadierin Roslyn Ellison 1993 als erste private, kostenfrei zugängliche Bibliothek Jamaikas gegründet.

Die Kinder kommen hauptsächlich ins Zentrum, um dort ihre Hausaufgaben zu machen. Dabei hilft eine Lehrerin von der Schule, die dafür von HELP Jamaica! ein Zubrot von etwa 140 Euro im Monat zu ihrem bescheidenden Gehalt erhält. »Viele Hausaufgaben werden so gestellt, dass sie ohne Internet nicht zu machen sind«, erzählt Keding im »nd«-Gespräch. Im Zentrum gebe es freien Internetzugang, was hochwillkommen sei.

Der Ansturm auf das Center hat alle Erwartungen übertroffen. »Wir waren blauäugig, dachten mit einer einheimischen Vollzeitkraft vor Ort das Projekt am Laufen halten zu können«, erinnert sich Keding an die Anfänge im Februar 2011. Nun kommen zu der einen Vollzeitkraft Virginia Chin, quasi der Projektmanagerin, vier junge jamaikanische Erwachsene Mitte 20, darunter eine Frau sowie der Hausmeister Mark als von Help Jamaica! bezahlte Kräfte. Hinzu kämen Freiwillige aus Jamaika und Europa, die sich in der Regel für ein paar Monate einbrächten, schildert Keding die Expansion im Personalwesen. Denn statt mit wie gerechnet zehn oder 20 Kindern kommen in Stoßzeiten bis zu 100 am Tag. Hinzu gesellen sich die Erwachsenen, die in der von der Community selbst angeregten Abendschule Kurse belegen, freut sich Keding über die große Akzeptanz.

Offenbar ist in Cassava Piece gelungen, woran viele Entwicklungsprojekte nach wie vor scheitern: die Einbettung in das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Umfeld. Bei den beiden Initiatoren nimmt das wenig Wunder. Birte Timm hat über die Jamaica Progressive League promoviert, eine von karibischen Einwanderern in den USA gegründete Organisation, die die Unabhängigkeitsbestrebungen in Jamaika unterstützte. Sie ist auch derzeit wieder in Kingston auf wissenschaftlichen Pfaden unterwegs und schaut nebenbei im Zentrum nach dem Rechten. Ihr und ihrem Lebensgefährten Keding, der der Karibikinsel als Selector vom Soundsystem SoundQuake über die Musik seit vielen Jahren eng verbunden ist, war es von Anfang ein Anliegen, das Projekt mit der Community gemeinsam zu stemmen. »Dass die Community mitmacht und mithilft, war immer Voraussetzung und auch Bedingung für das Projekt, dass sich aber so viele so stark einbringen würden«, ist überwältigend und unerwartet, zeigt sich Keding sichtlich angetan. Das gelte sowohl für die Freiwilligen, die mithelfen als auch für die Nachfrage nach Bildungsangeboten aus der Community selbst.

Die Startphase des Bildungszentrums ist geglückt. Nicht, dass es nicht immer wieder kleinere Probleme gäbe. Vor allem kulturelle Konflikte innerhalb des Mitarbeiterteams, Jamaikaner, die sich von gut gemeinten Ratschlägen europäischer Praktikanten bevormundet fühlten, innerjamaikanische Streitigkeiten, wer was im Team zu sagen habe, eigentlich Kleinkram, der aber durchaus die Arbeit zeitweise beeinträchtigen könne, schildert der Mittdreißiger. »Kritik muss man gegenüber Jamaikanern prinzipiell durch die Blume üben«, verweist Keding auf einen gewichtigen kulturellen Unterschied zwischen der Karibikinsel und Deutschland.

Für die kommende Phase ist Stabilisierung angesagt. »Bisher kommen die ganzen Mittel aus Deutschland, über Spendensammeln auf Reggae-Festivals, 60 Fördermitgliedern, T-Shirt und Kalenderverkauf und anderes. Ziel ist es nun, auch in Jamaika auf Sponsorensuche zu gehen. Der bisher einzige sei die deutsche Botschaft, die zweimal großzügig unter die Arme gegriffen habe, aber wir wollen auch einheimische und regelmäßige Sponsoren. Der Telekommunikationskonzern Digicel, der auch Usain Bolt finanziell unterstützt, sei beispielsweise ein potenzieller Kandidat, sagt Keding, der sein Vollzeitengagement in den vergangenen drei Jahren aus Ersparnissen bestritten hat. »Bisher haben wir noch gar keine Zeit gefunden, in Jamaika zahlungskräftige Unternehmen anzusprechen. Jetzt, wo das Zentrum läuft, muss das in Angriff genommen werden, um mit einem festen Grundstock an regelmäßigen Einnahmen besser planen zu können«, gibt Keding die Marschroute vor. Und vielleicht lässt sich ja Sprintstar Usain Bolt selbst als Förderer einspannen. Über das Projekt informiert ist er seit der Weltmeisterschaft 2009 in Berlin. Und das Tempo mit dem sich Help Jamaica! seitdem entwickelt hat, liefert Argumente, um den schnellsten Mann der Welt überzeugen zu können.

Info: www.helpjamaica.org; Spendenkonto HELP Jamaica e.V.: 900 143 431, BLZ: 360 100 43, Postbank Essen, Stichwort: HELP

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