Kein Traumjob mit Seeblick
Das beliebte Reiseziel Mecklenburg-Vorpommern soll auch für Köche und Kellner attraktiv werden
Die Sonne blendet, am Himmel hängen ein paar Wolken. 26 Grad Celsius. Am Strand liegen dicht an dicht die Badegäste, dazwischen tönen Kindergeschrei und Musik. Ein paar Meter entfernt leuchtet Neonlicht, Dunst hängt in der Luft. 40 Grad Celsius. In den schmalen Gängen herrscht Gedränge, hektische Rufe hallen zwischen den gefliesten Wänden. Hochsaison in den Ferienorten an der Ostseeküste: Die Restaurants und Cafés sind voll besetzt. Binz, Kühlungsborn und Warnemünde beispielsweise gehören zu den dann hoffnungslos überlaufenen Orten.
Die Beschäftigung in der Hotellerie stieg von 2010 bis 2011 um 1,7 Prozent, darunter die Vollzeitbeschäftigung um 1,4 Prozent. Laut Uwe Barsewitz, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Dehoga Mecklenburg-Vorpommern, sehen die Zahlen in der Gastronomie noch besser aus. Dort stiegen die Umsätze um 1,6 Prozent und die Beschäftigung um 6,1 Prozent. Auch in diesem Jahr setze sich dieser positive Trend fort.
Unterbesetzung ist die Regel, nicht die Ausnahme
Bei Urlaubern gewinnt das Land immer mehr an Beliebtheit. So lassen es zumindest die Reisekataloge und Websites verlauten. Traumjob mit Seeblick also? Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sieht das anders. »In Sachen Qualität spielt MeckPomm in der Champions League«, so der Geschäftsführer der NGG-MV, Mario Klepp. Doch in Bezug auf Löhne und Arbeitsbedingungen sei das Land Schlusslicht. Rund 2600 Stellen seien derzeit frei, Tendenz steigend, »dazu kommen rund 1500 unbesetzte Lehrstellen«.
Für Köche und Servicekräfte ist die Hochsaison die anstrengendste Zeit des Jahres. »Im Winter arbeitet man in der Regel seine acht bis neun Stunden. Im Sommer sind es zehn Stunden mindestens, bis hin zu 12, 13, 14 Stunden«, berichtet Sebastian Börner. Seit drei Jahren arbeitet der 26-Jährige auf Rügen. »Im letzten Betrieb waren wir unterbesetzt, das muss dann kompensiert werden. Ausfallen darf eben keiner.« Diese Unterbesetzung ist häufig die Regel, nicht etwa die krankheitsbedingte Ausnahme - und damit einer der Hauptgründe für die hohe Arbeitsbelastung in der Gastronomie.
Nach Ansicht des Vorsitzenden und tourismuspolitischen Sprechers der Linksfraktion, Helmut Holter, lässt die Landesregierung die Beschäftigten in der Tourismusbranche im Regen stehen. »Die aktuellen Zahlen zu Löhnen und Beschäftigungsverhältnissen im Gastgewerbe, die die Bundesagentur für Arbeit auf Anfrage der Linksfraktion im Bundestag bekanntgegeben hat, spiegeln die prekäre Lage in diesem Bereich.«
»Man muss aufpassen, wo man landet, sonst wird man ausgebeutet«, sagt Börner. »70-Stunden-Wochen für 800 Euro sind eine Frechheit.« Acht bis zehn Tage am Stück durcharbeiten sei während der Saison indes die Regel. Dies und die Urlaubssperre gehörten eben dazu.
Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Bundesland, in dem es im Hotel- und Gaststättengewerbe keinen Tarifvertrag gibt. Der NGG liege »seit geraumer Zeit unser Angebot für einen neuen Entgelttarifvertrag vor. Uns fehlt bisher eine faire Antwort der NGG«, so Dehoga-Chef Barsewitz Ende Juli.
»Der Dehoga hat fünf Prozent (Steigerung des Gehalts für gelernte Fachkräfte, A.d.A.) angeboten«, sagt Klepp dazu. »Das kann ich gegenüber den Arbeitnehmern nicht vertreten. Im Vergleich mit Thüringen beispielsweise liegen wir 300 Euro unter dem Einstiegsgehalt für einen gelernten Koch.« 1071 Euro für 40 Stunden. »Von einem Einstiegsgehalt von 8,50 Euro Stundenlohn sind wir meilenweit weg.«
Für die Aufnahme von Tarifverhandlungen sind Arbeitnehmer nötig, die das wollen. Robert Waltz*, 30 Jahre alt, arbeitet seit anderthalb Jahren auf Rügen. Kennt er Kollegen, die in der Gewerkschaft sind, einen Betriebsrat gegründet haben? Nachdem der Lachanfall vorüber ist, antwortet er. »Vergessen Sie's.« Nirgends sonst ist die Fluktuation in der Belegschaft so hoch wie in der Gastronomie. »Das ist gang und gäbe. In meinem Lehrbetrieb war ich nach zweieinhalb Jahren derjenige, der am längsten dort gearbeitet hat.« »Es gibt in den Hotels keine Kampfstärke«, bestätigt NGG-Chef Klepp.
Auf Rügen ist der Sommer doch noch angekommen, die Ferienwohnungen sind zum Großteil belegt, die Strandbars voll. Robert Waltz ist einer der Gäste, sitzt während seiner Pause zwischen zwei Schichten am Strand. Eine der eher seltenen Möglichkeiten, das Meer bei Tageslicht zu sehen und Seeluft statt Küchendunst zu atmen.
Ohne Leidenschaft kommt man nicht weit
»Es gibt offizielle Regelungen, die dafür sorgen sollen, das man beispielsweise für einen Dienst am Sonntag einen 100-prozentigen Aufschlag und einen freien Tag kriegt«, sagt Waltz. »Dass das auch umgesetzt wurde, habe ich noch nie erlebt.« Im Lehrbetrieb sei ihm der Urlaub ausgezahlt worden, da habe er innerhalb von zwei Jahren fünf Tage Urlaub gehabt. »Wer sich beschwert, bekommt eine einfache Ansage: ›Wenn's dir hier nicht passt, kannst du ja gehen.‹«
Sebastian Börner steht mittags, vor Arbeitsbeginn, in der kleinen Küche seiner Wohnung. Auf dem Herd blubbert die Espressokanne, draußen kreischen unablässig die Möwen. »Spät aufstehen ist für mich persönlich ein Vorteil«, so Börner lächelnd. »Und außerdem habe ich meine Frau durch diesen Beruf kennengelernt.« Im September wird er mit ihr wegziehen. Hat der Job also nicht nur Nachteile? Nachdenklich guckt er den Touristen hinterher, die beladen mit Luftmatratzen und Sonnenschirmen am Fenster vorbei gehen. »Man muss viel opfern, Freizeit kommt viel zu kurz. Ohne Leidenschaft für diesen Beruf kommt man nicht weit.«
Wenn man älter wird, verschieben sich die Prioritäten. »Kochen ist kein Beruf, den man bis zum Lebensende ausübt. Die paar Köche die ich kenne, die über 50 sind, haben keinen Freundeskreis, kein Sozialleben mehr.« Noch eine Saison wird Waltz nicht mitmachen. Im Herbst will er umziehen und der See den Rücken kehren. »Wenn du Familie hast, reicht es nicht, wenn du abends um 23 Uhr nach Hause kommst und deinen Kindern beim Schlafen zusiehst.«
Trotz der vielen negativen Seiten ist Kochen generell ein beliebter Beruf. Zumindest zu Beginn: Die Abbrecherquote bei den Auszubildenden ist jedoch hoch. In Mecklenburg-Vorpommern liegt sie laut Gewerkschaft bei etwa 45 Prozent. Waltz bestätigt das. »Viele lassen sich durch all die Kochshows verführen. Die negativen Seiten blendet man gern aus.« So kommt in der Ausbildung dann das böse Erwachen - und der Abbruch.
Darin, dass die zwei Köche die Insel verlassen wollen, sind sie keine Ausnahme. Auch die Zahl der freien Ausbildungsplätze werde zunehmen. »Unsere Jungs und Mädels wandern ab«, so Klepp. »Wenn der Dehoga sich weiterhin querstellt und keine vernünftigen Angebote macht, wird das bald auch die Hotellerie zu spüren bekommen«, schimpft er. Denn auch die Situation der Auszubildenden bleibt düster. »Der Dehoga hat uns hier sogar eine Steigerung der Vergütung im 40 Prozent angeboten. Aber nur im Gesamtpaket.« Dieses Gesamtpaket beinhalte jedoch auch die fünf Prozent für gelernte Kräfte, die er nicht akzeptieren und politisch schon gar nicht vertreten könne.
Der Verband der Hotels und Gaststätten wiederum schiebt den Schwarzen Peter den Jugendlichen selbst zu. »Mit schlechten Schulnoten oder gar keinem Abschluss kann man kein attraktives Arbeitsverhältnis erwarten.« Demnach mussten zwei Drittel der Unternehmen Bewerber ablehnen, »weil den jungen Leuten grundlegende Voraussetzungen für einen Beruf in unserer Branche fehlten: Sie können nicht richtig rechnen und das Dienstleistungs-Gen, andere Menschen bedienen zu wollen, sucht man bei ihnen vergebens«, kritisiert Barsewitz. »Wo bleibt hier die mahnende Stimme der Gewerkschaften an die Adresse der Eltern und Jugendlichen?«
In den Tarifgesprächen mit dem Hotel- und Gaststättenverband hatte die NGG angeboten, einen Schlichter hinzuzuziehen, das sei abgelehnt worden. »Wir sind gewillt, die Politik ins Boot zu holen, die soll nun vermitteln«, so Mario Klepp. Die Gewerkschaft habe Kontakt zu Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) aufgenommen. Denn wenn die Fronten weiterhin verhärtet bleiben, bleibt der Gewerkschaft nichts anderes übrig, als in Einzelgesprächen Haustarifverträge abzuschließen. »Im Hotel Neptun in Warnemünde beispielsweise ist uns das gelungen«, berichtet der NGG-Chef. Für große Hotelbetriebe mag das vielleicht möglich sein, doch wäre das mühselige Kleinarbeit. Von den zahllosen kleinen Restaurants ganz zu schweigen.
Gläser polieren mit Frank Zander
Es ist 23.30 Uhr, die letzten Gäste sind gegangen. Aus der Küche tönt Geschepper und der Zitrusduft der Putzmittel wabert am Tresen vorbei. Martin Frank, Restaurantleiter und Kollege von Waltz, stellt das Radio ab, das den gesamten Tag über die besten Hits der 80er gedudelt hat. Er hantiert kurz am Computer und Frank Zanders »Hier kommt Kurt« ertönt. Er wippt im Takt und macht sich daran, die Gläser, die in einer über zwei Meter langen Schlange auf dem Tresen aufgereiht stehen, zu spülen und zu polieren. Waltz kommt aus der Küche, noch in Kochkluft. Er setzt sich und streckt wie ein erschöpfter Tänzer die kaputten Füße von sich. Frank Zander singt immer noch, allmählich breitet sich so etwas wie Entspannung aus - oder vielmehr aus Überarbeitung und Übermüdung resultierendes Albernsein.
Noch bis zwei, drei Uhr dauern die Aufräumarbeiten. Am nächsten Morgen gegen halb zehn beginnt alles von vorn.
*Namen auf Wunsch geändert.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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