Zeitgenossen, Leidgenossen
Salzburger Festspiele: »Die Soldaten« von Bernd Alois Zimmermann
Alvis Hermanis, lettischer Theatermacher mit ausgeprägter Liebe zum historischen Bühneninterieur, hat seine Salzburger Inszenierung von Bernd Alois Zimmermanns »Soldaten« (1965) der Punk-Band »Pussy Riot« gewidmet.
Ob in dem Stück von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) und der darauf basierenden Oper von Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) oder in Putins Reich: Macho-Allüren der Mächtigen. Im Kunstwerk machen sie das naive Bürgermädchen Marie zur Soldatenhure - in der heutigen Wirklichkeit erklären sie Punkladys für gestört. Den Überbau dazu haben die Priester aller Religionen immer bei der Hand.
Freilich: Wirklich politisch sind »Die Soldaten« in Salzburg nicht. Oder nur insofern politisch, als die Inszenierung eben die Reanimation einer vermeintlichen Historizität ist - mit Kostümen und Interieur aus den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts. Und mit sieben leibhaftigen und zwölftonresistenten Pferden in der Felsenreitschule und einer brav erzählten Geschichte vom Abstieg einer Frau und der Hemmungslosigkeit einer Soldatenmeute.
Hermanis beherrscht natürlich die breite Bühne der Felsenreitschule virtuos. Eine Reihe mit sieben großbogigen Arkaden-Fenstern schirmen die Kaltblüter ab, wenn sie in »ihrem« Haus emsig hin und her geführt werden und für eine Atmosphäre von Kriegslager sorgen. Davor gibt es eine liebevolle Ausstattung, in der Marie (in Hochform: Laura Aikin) und ihre Schwester (Tanja Ariana Baumgartner) vom besseren Leben träumen, Männer über Frauen schwadronieren, den braven Stolzius (intensiv: Tomasz Konieczny) verhöhnen und sich dann über Marie hermachen. In einer gläsernen Zelle, zwischen Stroh.
Einmal balanciert ein Double auf dem Hochseil über die Szene und den Graben, was ein ebenso eindrucksvolles (Sinn-)Bild ist wie der Schluss, bei dem der verzweifelte Stolzius nicht seine ehemalige Verlobte umbringt, sondern die Männer, die Marie zur Hure machten. Vom großen Knall, den Zimmermann am Ende, von eigenen Kriegserfahrungen geleitet, vorgesehen hatte, bleibt hier ein Schrei des Individuums. So faszinierend Hermanis Tschechow zum Leben erwecken kann, so problematisch bleibt seine Ästhetik bei der Oper. Für Vergegenwärtigung ist die Methode wenig ergiebig.
Musikalisch ist diese Produktion eine Sensation, die jeden szenischen Einwand überstrahlt. Die Wiener Philharmoniker, ein Weltklasseorchester, nehmen sich mit Lust, Präzision und Sinnlichkeit eines Prunkstücks der späten Moderne an. Und Ingo Metzmacher hat keinerlei Probleme, den riesigen, über 170-köpfigen Orchesterapparat mit auf die Seitenlogen ausgelagerten Instrumentengruppen zusammenzuhalten und den Raum auszufüllen.
Da er darüber hinaus ein durchweg exzellentes Protagonisten-Ensemble zur Verfügung hat, bekommt dieser Abend, musikalisch gesehen, absolute Referenzqualitäten. Roberto Becker
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