Ezzes vom Rabbi

Für alle Lebenslagen hat einer Rabbiner weise Ratschläge parat

  • Alexander Estis
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Rabbi der Chabad Odessa bereitet die Ketubba, Ehevertrag, zu einer Trauung vor.
Der Rabbi der Chabad Odessa bereitet die Ketubba, Ehevertrag, zu einer Trauung vor.

Unser Rebbe gibt die besten Ezzes.

»Rebbe, was soll ich tun, heiraten oder nicht heiraten oder doch heiraten? Macht die Ehe glücklich?« – »Die Ehe macht glücklich. Es sei denn, man ist verheiratet.«

»Rebbe, was soll ich tun? Mich besuchen bisweilen so seltsame Gedanken …« – »Nu, sei froh, dich besuchen sie, bei anderen sind sie zu Hause!« – »Rebbe, was soll ich tun? Ich muss in ein abgelegenes Dorf reisen, von dem ich nicht einmal weiß, wo es wirklich ist …« – »Gut, aber wenn du einmal dort bist, würdest du von dort aus den Rückweg finden?« – »Natürlich, Rebbe!« – »Dann nimm einfach diesen Weg, aber geh ihn in die andere Richtung!«

Ezzes von Estis

Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.

»Rebbe, was soll ich tun? Ich habe eine Woche für einen Auftrag, seit sechs Tagen schufte ich unermüdlich, aber morgen ist Schabbes, wie soll ich da meine Arbeit rechtzeitig beenden?« – »Seit sechs Tagen? Nu, es ist schon seit sechs Tagen nicht Schabbes gewesen, wieso sollte morgen auf einmal Schabbes sein?«

»Rebbe, was soll ich tun? Ich bin bei Freunden eingeladen und die machen Sülze. Aber Sülze ist doch nicht koscher?« – »Natürlich ist Sülze koscher.« – »Aber wie kann das sein, Rebbe?« – »Nu, Sülze besteht zu 100 Prozent aus Zutaten!«

»Rebbe, was soll ich tun? Ich habe fast keine Freunde, ich bin offenbar kein gerngesehener Gast …« – »Nu, man muss eben auch ein guter Gast sein…« – »Und wie geht das?« – »Du musst anspruchslos sein. Du musst alles selbst machen. Selbst den Mantel aufhängen, selbst Deinen Teller holen, selbst das Essen auf den Teller legen …« – »Aber wie, Rebbe, wenn ich doch nicht einmal eingeladen werde?« – »Nu, Du musst Dich eben auch selbst einladen …«

»Rebbe, was soll ich tun? Ich brauche für meinen Auftritt einen ganz neuen Witz, den bisher niemand gehört hat – und noch nicht einmal gelesen!« – »Nimm den Witz mit dem Hering auf der Turmspitze.« – »Mit dem Hering auf der Turmspitze? Wie geht der Witz?« – »Das verrate ich doch nicht, sonst ist er nicht mehr neu!«

»Rebbe, was soll ich tun? Ich habe nie Glück. Warum sollte mir der Allmächtige nicht auch mal etwas Glück schenken?« – »Der Allmächtige soll es Dir schenken?« – »Ja, Rebbe, das soll er!« – »So ein Glück müsstest Du eben erst einmal haben …«

»Rebbe, was soll ich tun? Ich will weiser werden…« – »Studiere mehr die Torah!« – »Warum, Rebbe, werde ich vom Schriftstudium denn weiser?« – »Nein, aber Du wirst müder. Wer müde ist, der redet wenig. Wer wenig redet, ist still. Wer still ist, der erscheint weise.«

»Rebbe, was soll ich tun? Dieses Leben ist einfach furchtbar. Wird es in Zukunft besser, als es bislang schon schlecht war?« – »Das ist unsicher …« – »Aber Rebbe, wird es zumindest etwas gleichmäßiger schlecht, als es bislang überraschend nicht besser geworden ist?« – »Das ist sogar noch unsicherer.« – »Rebbe, aber kann es denn so weitergehen?« – »Das ist ebenfalls unsicher.« – »Rebbe, gibt es denn überhaupt irgendeine Sicherheit in diesem Leben?« – »Schwer zu sagen …«

»Oj wej, Rebbe, was soll ich tun? Ich muss sterben, sobald mein Leben vorbei ist – und vielleicht sogar schon davor!« – »Nu, besser einmal sterben, als nie leben!«

Ja, unser Rebbe gibt wirklich die besten Ezzes – denn mit ihnen kann man zwar nichts anfangen, aber dafür kommt man damit auch nicht zu einem Ende.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.