Merkels dunkler Schatten
Kohl bekommt Festakt, Briefmarke und 1000 Seiten
Inwieweit Helmut Kohl noch zu jenem mokanten Grinsen in der Lage ist, mit dem er in seiner 16-jährigen Kanzlerschaft all seine Widersacher niederzuringen suchte, wissen nur die ganz wenigen, die von seiner zweiten Frau Maike zu ihm vorgelassen werden. Aber vielleicht vergrößert sich der Kreis am 27. September ja schlagartig. Dann nämlich, wenn die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung im Deutschen Historischen Museum zu einem Festakt zur Ära Kohl lädt, die 1982 per Konstruktivem Misstrauensvotum unter tätiger Mithilfe einer die Fronten wechselnden FDP eingeleitet worden war, werden die Kameras jede Regung des alten kranken Mannes einfangen. Und sein einstiges »Mädchen« Angela Merkel, die ihn nicht nur als CDU-Chefin und Kanzlerin beerbte, sondern ihm auch nach seiner Lesart mit ihren Rufen nach lückenloser Aufklärung über Entstehung, Verbreitung und Finanziers diverser schwarzer Kassen die Ehre nahm, hält die Festrede.
Womöglich direkt unter dem übermächtigen Konterfei des wahrlich nicht nur selbst ernannten CDU-Patriarchen, das demnächst auf einer 55-Cent-Briefmarke zu besichtigen ist, wird sie stehen und seine Verdienste würdigen. Wohl wissend, dass gerade ein Buch der bekennenden Kohl-Verehrerin und fälschlicherweise auch als Kohl-Beraterin geltenden Gertrud Höhler über das System Merkel auf den Markt kam, in dem sie kurzerhand zur »Patin« erklärt worden ist. Und ahnend, dass viele Freunde des Altkanzlers im Saal sie so wie Höhler als »die Fremde aus Anderland« empfinden und ihren »situativen Umgang« mit den konservativen Grundwerten ihrer Partei seit Langem beargwöhnen. Sollte dann auch noch tatsächlich Kohl höchstselbst das Wort ergreifen, wie gestern spekuliert wurde, könnte es unangenehm für die Kanzlerin werden. Denn anders, als die in einem »Berliner Kreis« zusammengeschlossenen innerparteilichen Merkel-Kritiker, die bislang öffentliche Abrechnung scheuen, hat ihr tief enttäuschter Gönner nichts mehr zu verlieren.
Dabei bräuchte der 82-Jährige sich der Anstrengung gar nicht zu unterziehen. Seine Fans haben ganze Arbeit geleistet. »Endlich, endlich«, jubilierte Kohls Studienfreund und mehrfacher CDU-Ministerpräsident Bernhard Vogel am Donnerstagabend, als in der Deutschen Bank in Berlins Zentrum das von der Deutschen Verlags-Anstalt als »erste große politische Biographie über Helmut Kohl« angepriesene 1000-Seiten-Werk des Politologen Hans-Peter Schwarz vorgestellt wurde. Wenn auch vom Politologen wie vom Politiker zarte Kritik angemeldet wurde - »wer von der Macht gegessen hat, der kann von diesem Gericht nicht genug kriegen« (Schwarz), »ich wurde von ihm nicht nur gefördert, sondern habe unter ihm gelitten« (Vogel) - alles in allem bemühten beide Herren doch eher die Superlative.
Da wird Kohl als Pragmatiker, Gestalter, Beweger, Führernatur ebenso gerühmt wie als Organisationstalent und Mann, der neben Konrad Adenauer in der Geschichte der Bundesrepublik die breiteste Spur hinterlassen habe, wie Vogel meint. Und da ist von einem »Riesen« die Rede, der in Rheinland-Pfalz als »junger ungebrochener Siegfried« agierte, vom »großen Europäer« oder der »Riesenschildkröte«, die nicht umzuwerfen ist, wie Schwarz attestiert.
Lediglich in der für uns Konsumenten sattsam bekannter Kohlscher Politik eher paradox anmutenden Frage, ob der Oggersheimer doch nicht irgendwie zum linken Flügel der CDU zu rechnen wäre, gehen die Meinungen der beiden auseinander. Während der Biograf meint, »er war ein Exponent des fortschrittlichen Flügels der CDU«, ist das für den Jugend- und Parteifreund eine Zumutung. »Der Kohl ist doch kein Linker«, ruft Vogel entsetzt in die erlauchte Runde und versteigt sich gar in die Erklärung, dass eine soziale Ader, die sein Freund durchaus besessen habe, doch nichts mit Linkssein zu tun habe.
Kohls Herkunft, seine Verdienste um die deutsche Einheit und erst recht die um Europa, die weit mehr als den Euro betreffen, seine Vorsicht, das Misstrauen, die Rachsucht und der Hass gegenüber den Medien - alles war Thema bei der Buchvorstellung. Nur nicht jene Jahre nach seiner Wahlniederlage 1998, die in der Biografie mit »Das Ende des Glückskindes« überschrieben sind - und für die Höhlers Etikett vom Paten irgendwie eher passend scheint. Ob Angela Merkel dereinst mit so viel Pietät von ihren Parteifreunden rechnen kann, ist fraglich.
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