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Grabenkämpfe an der sozialpolitischen Front

SPÖ und ÖVP streiten in Österreich über die Einführung einer Berufsarmee / Eine Volksbefragung soll es nun richten

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Debatte in Österreich über ein Berufsheer trägt merkwürdige Früchte. Ausgerechnet der frühere Gewerkschaftschef SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundsdorfer will Tausende Arbeiter im Sozialbereich, die künftig den Zivildienst ersetzen sollen, unter Kollektivvertrag entlohnen. Der konservative Koalitionspartner ÖVP argumentiert dagegen.

Verkehrte Welt, möchte man meinen. Sozialdemokratische Funktionäre stehen für Lohndumping, während sich christlich-konservative Politiker für die Einhaltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen stark machen. Die ganze Diskussion um die Abschaffung von Wehrpflicht und Zivildienst sowie die Aufstellung eines Berufsheeres folgt seit geraumer Zeit diesem seltsam anmutenden Drehbuch. Noch vor ein paar Jahren sahen sich SPÖ und ÖVP jeweils auf der anderen Seite ihrer derzeitigen Argumentation. Die ÖVP wollte so schnell wie möglich in die NATO und plädierte aus diesem Grund für die Abschaffung der Wehrpflicht. Und SPÖ-Verteidigungsminister Norbert Darabos ließ sich noch im Juni 2010 mit den Worten vernehmen, dass für ihn die »Wehrpflicht in Stein gemeißelt« sei, womit er sich in die sozialdemokratische Tradition der Befürwortung eines Volksheeres stellte.

Ein halbes Jahr später kam die argumentative Wende. Losgetreten wurde sie von eben jenem Verteidigungsminister Darabos, als er im Januar 2011 vermeldete, die Wehrpflicht sei nicht mehr zeitgemäß und er sehe nicht ein, warum junge Männer zu einem Zwangsdienst vergattert werden müssten.

Die Vermutung liegt nahe, dass dieser radikale Positionswechsel nach Gesprächen mit NATO-Offizieren und Politikern in Berlin erfolgt ist, die zur selben Zeit die Aussetzung des Präsenzdienstes in Deutschland beschlossen haben. Zur allgemeinen Überraschung nahm die ÖVP den sozialdemokratischen Kurswechsel nicht zum Anlass, nun gemeinsam in der SPÖ-ÖVP-Koalition die Wehrpflicht zu Fall zu bringen, sondern schwenkte ihrerseits um. Die Wehrpflicht war ihr plötzlich Dienst an Land und Volk und der Wehrersatzdienst, also der Zivildienst, schien ihr ohne allgemeine Wehrpflicht nicht möglich. Vor zwei Wochen einigten sich dann SPÖ und ÖVP auf die Abhaltung einer Volksbefragung zum Thema im kommenden Winter. Der Plakatwahlkampf hat begonnen.

Im Vorfeld dieser Volksbefragung wird von beiden Seiten heftig um Zustimmung geworben. Der Umgang mit bislang von Zivildienern erbrachten Leistungen bei sozialen Einrichtungen spielt eine zentrale Rolle im Meinungsstreit. Es geht dabei um 13 000 junge Männer, die von der Caritas über Altenheime bis zur Entwicklungshilfe im Einsatz sind. Sollte die Wehrpflicht fallen, müssten diese Arbeitsleistungen in anderer Form erbracht werden. SPÖ-Sozialminister Hundsdorfer plädiert für die Einführung eines - freiwilligen - »Sozialjahres«. Bei der Errechnung der Kosten hat er einen jährlichen Bruttolohn von 15 000 Euro pro Sozialjahr-Leistenden als Basis genommen, das sind um ein Drittel weniger als der für die entsprechenden Branchen durchschnittlich bezahlte Kollektivvertrag. Und statt der benötigten 13 000 Stellen will Hundsdorfer mit 6000 Stellen auskommen. Die Häme des Koalitionspartners ÖVP folgte auf dem Fuß. »Lohndrücker« war noch einer der vornehmsten Ausdrücke, mit denen er sich konfrontiert sah. Nach einer Schrecksekunde vernahm man auch von gewerkschaftlicher Seite Kritik. Die Bundesheerdebatte hat damit die sozialpolitische Front erreicht.

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