Nachwäsche in Bayern
München: Parlamentarier ermitteln (endlich) zum rechtsextremistischen NSU-Terror
Ziel des Ausschusses ist es, ein mögliches Fehlverhalten bayerischer Sicherheits- und Justizbehörden sowie der zuständigen Ministerien aufzuklären - so jedenfalls lautet die Standardformulierung für die Öffentlichkeit. Doch wer die kriminalistische wie politische Aufarbeitung des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) verfolgt, weiß, dass es längst nicht mehr um »mögliche Fehler« geht.
Bei der konstituierenden Sitzung des Landtagsuntersuchungsausschusses Anfang Juli hatte der Vorsitzende Franz Schindler (SPD auch betont, dass es »viele gute Gründe« gibt, weshalb der Freistaat einen eigenen Untersuchungsausschuss brauche. Der Jurist musste kein Hellseher sein um zu vermuten, dass es nicht nur auf der Bundesebene und in Nachbarländern einiges aufzuklären gibt bei Verfassungsschutz und Polizei.
Was bisher im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, der ja schon bayerische Polizisten, Verfassungsschützer, Juristen als Zeugen geladen hatte, über die skandalösen Ermittlungen zu den als »Dönermorden« abgetanen rechtsextremistisch motivierten Verbrechen zutage gefördert wurde, verlangt geradezu nach einer Nachwäsche vor Ort. Man kann dem Landtag keine übermäßige Eile nachsagen. Aber möglicherweise macht er Versäumtes durch Gründlichkeit wett.
Am 11. September 2000 gegen 12 Uhr erlag Enver Simsek seinen Verletzungen. Er war das (vermutlich) erste Mordopfer der NSU-Bande. »Bitte mir genau berichten: Ist ausländerfeindlicher Hintergrund denkbar?«, schrieb Günter Beckstein damals an den Rand seiner Regionalzeitung, die den rätselhaften Mord an dem türkischen Blumenhändler aufgegriffen hatte. Beckstein, der im Berliner Ausschuss auch als Zeuge auftrat, lag mit seiner Vermutung richtig. Doch es mussten weitere neun Menschen sterben, bevor die mutmaßlichen Killer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im November 2011 nach einem Banküberfall in Eisenach - wie es heißt - Selbstmord begingen.
Die Münchner Ausschussmitglieder haben sich im Großen und Ganzen auf einen Fragenkatalog geeinigt. Geladen sind bislang über 50 Zeugen, darunter der einstige und der aktuelle Innenminister Günter Beckstein und Joachim Herrmann, Ermittler bei Staatsanwaltschaft und Polizei aus Nürnberg und München, Verfassungsschutzchefs außer und im Dienst, Karl Huber, der frühere Generalstaatsanwalt und heutiger Vorsitzender des bayerischen Verfassungsgerichtshofs. Sogar Becksteins Neffe, der Münchner Oberstaatsanwalt, muss aussagen.
Doch sowohl der Fragekatalog - der von der CSU bekrittelt wurde, weil sie sich ungenügend beteiligt fühlt - wie die Zeugenliste lassen befürchten, dass wesentliche Aspekte nicht beleuchtet werden.
Bislang taten die bayerischen Behörden sich schwer, die vielfältige Vernetzung der Rechtsextremisten - beispielsweise die zwischen Thüringer Heimatschutz und Gleichgesinnten vor allem in Franken und Niederbayern - zu erkennen. Das gilt auch für Strukturen der militanten Blood&Honour-Bande, die nach Sachsen und Baden-Württemberg reichen. Um nicht nur bei Partybeschreibungen in Straubinger Kiesgruben vor dem Abtauchen der späteren NSU-Killer hängen zu bleiben, könnte man sich ja bei diversen antifaschistischen Gruppen erkundigen, die über das Nazispektrum mehr wissen, als die Sicherheitsbehörden je ermitteln wollten. Wichtig wäre auch, geistige Anreger der NSU zu benennen und dabei nicht nur bei dem Coburger Verleger Peter Dehoust hängen zu bleiben.
Vieles gibt es aufzuklären, das über nationale Grenzen hinausführt. Obwohl der Bundesnachrichtendienst, der im NSU-Fall wie ein Schatten über allem schwebt, in Bayern angesiedelt ist, wird er für den Ausschuss tabu bleiben, nicht so das Thema Auslandsverbindungen.
Bayern hatte für Rechtsextremisten - zumal für die militanten - stets eine Scharnierfunktion. Von hier gab und gibt es vielfältige Verbindungen nach Tschechien, Österreich und in die Schweiz. Wer sich entsprechende Meldungen vom Anfang des Jahrtausends vornimmt, kann daraus zahlreiche Fragen ableiten, die von Behördenvertretern beantwortet werden sollten. Insbesondere die Grünen könnten ihre Kontakte zu Gleichgesinnten in der Schweiz und Österreich nutzen, um mögliche Grenzüberschreitungen der Rechtsextremisten auszuleuchten.
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