Blick zurück, kaum nach vorne
Ex-Wirtschaftskader der DDR debattierten über ein Wirtschaften jenseits des Profits
Die nach dem Niedergang der sozialistischen Staaten vielerorts erledigt geglaubte Frage nach einer Alternative zur sogenannten freien Marktwirtschaft steht angesichts der Finanz- und Schuldenkrise wieder auf der Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund haben sich der Verein zur Förderung lebensgeschichtlichen Erinnerns und biografischen Erzählens e. V. und der Verlag Rohnstock Biografien mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung das Ziel gesetzt, führende Wirtschaftskader der DDR in die Debatte einzubinden. Diesem Ziel diente auch eine Tagung am Freitag in Berlin - zur Fragestellung, »was heute aus der DDR-Planwirtschaft für ein zukünftiges Wirtschaften gelernt werden kann«. Über ein Dutzend Ex-Generaldirektoren von Industriekombinaten sowie Ökonomen waren gekommen.
Laut Verlegerin Katrin Rohnstock sind die »herrschenden Sichten auf die DDR-Wirtschaft nach wie vor geprägt von den Mythen des Kalten Krieges und den neuen Mythen der Sieger«. Aus Sicht derer, die dieses Wirtschaftssystem in leitenden Positionen prägten, sei »diese Geschichte noch nicht erzählt«. Dabei seien diese Erfahrungen unverzichtbar, »insbesondere wenn man der Frage folgt: wie kann ein Wirtschaften jenseits von Profitstreben gelingen?«
Eine griffige Antwort darauf gab es indes nicht. Vielmehr bemühten sich die meisten Referenten und Diskussionsteilnehmer, die Gründe des ökonomisch-politischen Niedergangs der DDR differenziert zu analysieren. Lediglich Klaus Blessing, der bis 1990 leitende Funktionen im Ministerium für Erzbergbau, Metallurgie und Kali und in der entsprechenden Abteilung des ZK innehatte, vertrat die Position, dass die DDR ökonomisch nicht gescheitert sei - anhand von Berechnungen zu Bruttoinlandsprodukt, Verschuldung und Produktivitätssteigerung.
Karl Döring, ehemaliger Generaldirektor bei EKO Eisenhüttenstadt, mochte diese Sicht nicht teilen. Der Wettbewerb mit dem Kapitalismus sei anhand von dessen Parametern »nicht zu gewinnen gewesen«. Zudem habe es bei der Umsetzung der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik schwere Fehler gegeben. So sei durch die Subventionierung von Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs eine realistische Preisbildung verhindert worden. Die materielle Teilhabe aller Bürger hätte stattdessen über deren Einkommen gewährleistet werden müssen. Andere Generaldirektoren kritisierten ferner die »Überfrachtung« der Kombinate mit Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie z.B. Kultur- und Freizeitangeboten. Zudem habe man den Menschen mit immer neuen Erfolgsmeldungen und Planzielen Sand in die Augen gestreut, statt offen zu sagen, »was die Volkswirtschaft leisten kann und was nicht«.
Auch der bis 1990 in der Akademie für Gesellschaftswissenschaften tätige Ökonom Harry Nick wies die These von der relativen wirtschaftlichen Überlegenheit der DDR zurück. Der Staat sei »am Ende gewesen«, technologischer Rückstand, die Diskrepanz zwischen Güterangebot und - nachfrage irreparabel. Die Diktatur des Proletariats habe »ihre historische Bewährungsprobe nicht bestanden«, so Nick, der daraus die Konsequenz zieht, dass »der demokratische Prozess auch bei der Überwindung der Herrschaft der Bourgeoisie« weitergehen müsse.
Eine Diskussion der DDR-Ökonomen mit dem Finanzexperten der Linksfraktion im Bundestag, Axel Troost, musste ausfallen, da dieser das Flugzeug verpasst hatte. Die Veranstalterin brach die zeitlich aus den Fugen geratene Tagung schließlich abrupt ab: »Solche Diskussionen werden hier nicht mehr stattfinden.« Stattdessen sollen bei weiteren Events die individuellen Biografien der Kombinatsdirektoren in den Mittelpunkt gerückt werden, auch im Dialog mit einem der großen Erzähler der DDR, Volker Braun.
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