»Ferrari ist niemals besser als wir!«

Die Antidopingszene wehrt sich auf einer Konferenz in Stockholm gegen den Ruf der ständig hinterherhinkenden Wissenschaft

  • Tom Mustroph, Stockholm
  • Lesedauer: 3 Min.
Erstmals trafen sich die Dopingjäger aus Politik, Sport, Wissenschaft und der Polizei zum Gedankenaustausch in Stockholm. Dabei wurden besonders die Kontrolleure kritisiert.

Das hat gewurmt. In seinem Bekenntnisbuch »The Secret Race« stellte der frühere Radprofi und erst spät des Dopings überführte US-Amerikaner Tyler Hamilton seine Betrugshelfer als die besseren Fachleute dar: »Die WADA hat Jahre gebraucht, um einen EPO-Test zu entwickeln. Michele Ferrari brauchte fünf Minuten, um ihn zu umgehen.« Dieser freche Vorwurf kratzte arg an der Ehre der Gescholtenen. Und er wurde zum heimlichen Hauptthema des am vergangenen Wochenende in Stockholm ausgerichteten Kongresses »Doping als ein Problem der öffentlichen Gesundheit«.

»Ich war schon überrascht, dass Ferrari nur fünf Minuten gebraucht haben soll. Aber man muss bedenken, dass es lange vor dem Test viele Informationen dazu gab«, versuchte WADA-Generalsekretär David Howman zunächst die Blitzleistung des berüchtigten Dopingarztes aus Italien zu relativieren.

Deutlich angefressener wirkte da schon die Chefin des WADA-Labors in Montreal, Christiane Ayotte. »Ferrari ist niemals ein besserer Wissenschaftler als wir«, meinte die temperamentvolle Franko-Kanadierin. »Wir halten uns streng an wissenschaftliche Regeln. Ein falscher positiver Test ist für uns eine absolute Katastrophe. Für uns gelten sogar noch härtere Standards als für gewöhnliche Wissenschaftler, denn unsere Analysen müssen vor Gericht standhalten und nicht nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit haben«, sagte sie.

Ursachen für den Rückstand zu den Dopern - ein Prozent aller Tests sind positiv, aber Schätzungen zufolge ist der Prozentsatz von dopenden Leistungssportlern zweistellig - sieht Ayotte vor allem bei den Kontrollorganisationen selbst. »Sie müssen ihre Hausaufgaben machen. Warum werden die Proben nicht rechtzeitig genommen, wenn sich noch Spuren von verbotenen Substanzen im Körper befinden?«, schießt sie in Richtung der Antidoping-Agenturen. »Wir wissen seit Jahren vor allem aus dem Radsport, wie leicht sich Kontrollen hinauszögern lassen. Und es macht mich krank zu lesen, wie Hamilton bei der Ankunft von Kontrolleuren über den Fußboden kriecht und aus dem Fenster zur Rückseite des Hauses abhaut«, sagte sie.

Dem pflichtete Mathieu Holz bei. Der Franzose ist bei Interpol für den Kampf gegen Dopingringe zuständig. »Von der Tour de France wissen wir, dass 45 Minuten ausreichen, um Dopingmittel aus dem Körper zu spülen. Proben, die nicht sofort genommen werden, sind oft wertlos«, sagte er »nd« und bot den Dopingjägern Unterstützung an. Bereits im Fall von Lance Armstrong hatte Holz Aktivitäten der italienischen, spanischen, belgischen und französischen Polizei koordiniert und den amerikanischen Ermittlern so zu einem komplexen Einblick ins Dopingnetzwerk des US-Radprofis verholfen.

Etwas in den Hintergrund geriet angesichts dieses Feintunings der Dopingbekämpfung im Spitzensport das Hauptthema der Tagung. Erstmals hatten sich in Stockholm UNESCO, WHO, WADA, IOC und Interpol an einen Tisch gesetzt. Denn Doping ist längst nicht mehr auf den Spitzensport beschränkt. »Bereits drei Prozent der männlichen Schüler in US-amerikanischen High Schools nehmen Steroide«, sorgte sich der Abgesandte der Weltgesundheitsorganisation WHO, Timothy Armstrong. »Doping mit all seinen Gesundheitsrisiken ist inzwischen ein Problem für die gesamte Gesellschaft, besonders aber für männliche Heranwachsende geworden«, sagte er. Zu den bekannten Risiken von Steroiden - Herzkreislauferkrankungen, Leberschäden, höheres Krebsrisiko - kommen nach Auskunft des schwedischen Neurologen Fred Nyberg auch Schädigungen des Gehirns. »Gedächtnisleistungen und kognitive Fähigkeiten werden beeinträchtigt«, sagte er.

Kongressorganisator Arne Ljungqvist, schwedisches IOC-Mitglied und Vorsitzender dessen medizinischer Kommission, forderte: »Weil der Leistungssport in Sachen Doping ein schlechtes Rollenvorbild ist, muss er bei der Bekämpfung vorangehen.« Deutschland hängt dort übrigens zurück. Weder vom deutschen Gesundheitsministerium noch von der deutschen Antidoping-Agentur NADA aus Bonn war ein Vertreter zum Gedankenaustausch nach Stockholm gereist.

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