Teure Mittel und große Packungen
Report bestätigt sinkende Arzneimittelausgaben der Krankenkassen - zumindest für das vergangene Jahr
Arzneimittel sind ständig in der Diskussion. Sie sind der dritthöchste Ausgabenposten der gesetzlichen Krankenversicherung und verursachten in der Vergangenheit immense Kostensteigerungen. Ein Grund dafür ist das hohe Preisniveau für Medikamente in Deutschland und ein anderer die erfolgreichen Marketingstrategien der Hersteller. Die wiederum argumentieren mit ihren forschungsintensiven Innovationen sowie mit dem demografischen Wandel, der ihnen mehr behandlungsbedürftige Patienten beschert.
2011 sanken nun zum ersten mal nach sieben Jahren die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen - um 1,17 Milliarden auf insgesamt 30,87 Milliarden Euro. Wie die Autoren des neuen Arzneiverordnungsreports, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde, analysierten, ist dies fast ausschließlich auf Gesetzesänderungen zurückzuführen, die 2010 verabschiedet wurden. So gilt noch bis Dezember 2013 ein auf 16 Prozent erhöhter Herstellerabschlag für einen großen Teil der Arzneimittel und zugleich ein Preismoratorium. Dies, sagte Dieter Paffrath von der AOK Nordwest, einer der Herausgeber des Reports, sei ein massiver gesetzlicher Eingriff gewesen. Allerdings seien trotz des Bestehens dieser Regelungen die Arzneimittelausgaben im ersten Halbjahr 2012 erneut um 3,1 Prozent gestiegen. Der Beweis dafür, dass das neue Gesetz dauerhaft wirke, sei noch nicht erbracht. Paffrath wies darauf hin, dass sich der Arzneimittelmarkt in ständigem Umbau befinde. Momentan bewege er sich in die Richtung, teurere und stärkere Arzneimittel sowie größere Packungen zu verordnen.
Neue Arzneimittel müssen seit 2010 auch auf ihren Zusatznutzen untersucht werden. Anschließend verhandeln Hersteller und Kassen über einen Rabatt auf den ursprünglich vom Hersteller festgelegten Preis. Dem Report zufolge wurden in den ersten 20 Monaten 25 Bewertungsverfahren abgeschlossen. Von den 23 neuen Arzneimitteln des Jahres 2011 hatten demnach 14 einen Zusatznutzen für die Patienten. Bei acht Arzneimitteln wurde dieser nicht anerkannt - mit der Folge, dass vier Präparate wieder vom Markt verschwanden. 2012 wurden elf neue Arzneimittel zur Nutzenbewertung eingereicht, das sind deutlich weniger als im vergangenen Jahr.
Allein bei den zehn führenden patentgeschützten Arzneimitteln und den zehn umsatzstärksten Analogpräparaten könnten 1,7 Milliarden Euro eingespart werden. Analogpräparate unterscheiden sich kaum oder nur marginal von bereits eingeführten Präparaten. Ohne Einbußen in der Versorgungsqualität könnten insgesamt über drei Milliarden Euro eingespart werden, sagt Herausgeber Paffrath, wenn die Ärzte konsequent auf diese Mittel verzichteten, solche mit umstrittenen Nutzen gar nicht mehr einsetzten und konsequent preiswerte Generika verschrieben. Offenbar, so urteilt der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, sei man »nicht in der Lage, Marketingstrategien wirksam entgegenzutreten«.
Der Report nennt für die gesetzliche Krankenversicherung Ausgaben von rund 184 Milliarden Euro für das vergangene Jahr. Den größten Anteil daran hatten die Krankenhausbehandlungen mit 61 Milliarden Euro, gefolgt von denen für ärztliche und zahnärztliche Behandlungen mit 46 Milliarden. Für ihre Untersuchung, die über 1000 Seiten umfasst, werteten die Experten 784 Millionen Verordnungen von mehr als 141 000 Vertragsärzten aus. Der Verband der Hersteller von Nachahmerprodukten, Pro Generika, sieht in dem Report keinerlei Erkenntnisgewinn. Er setze »offensichtlich auf Stimmungsmache« und rechne »mit Phantomzahlen«, erklärt Geschäftsführer Bork Bretthauer. Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie bemängelt die Methodik des Reports und die Basis für Preisvergleiche mit anderen europäischen Ländern. Die Industrie begleitet den Arzneiverordnungsreport seit 27 Jahren mit Kritik und Ablehnung.
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