Schwarzer Tag für Dietmar?

Wechselbad der Gefühle für den ehemaligen PDS-Bundesgeschäftsführer Bartsch

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 5 Min.
Parteitage haben eine Regie. Manchmal. Oder mehrere. Wie diesmal. Parteitage haben immer eine eigene Dynamik. Wer wüsste das besser als Dietmar Bartsch. Wissen schützt vor Fehleinschätzungen nicht. Das jedenfalls musste der Ex-Bundesgeschäftsführer in Gera erfahren.
»Wir sollten auch in der Niederlage lachen.« Am späten Samstagabend hatte Dietmar Bartsch offenbar die Contenance wiedergefunden. Das war auf dem Treffen der Parteitagsdelegierten, die nach dem Erfolg des Zimmer-Antrages eine Auszeit genommen hatten, um über ihr weiteres Vorgehen zu beraten. Da hatte Bartsch bereits wieder alles im Griff. Beruhigte die erregten Gemüter, bat alle, »jetzt besonnen zu reagieren« und weiter in der linken Partei zu arbeiten: »Wir haben nur diese eine, da hat Gabi Recht.« Das sagte er, nachdem das Wort Spaltung die Runde machte und einzelne Delegierte eine eigene Plattform der Unterlegenen gefordert hatten. Bartsch blieb cool, und das Lächeln wollte ihm nicht mehr aus dem Gesicht weichen. Vermutlich hatte der 44-jährige Bundesgeschäftsführer mit Schatzmeister- und Bundestagserfahrung ziemlich schnell die Stimmung im Saal geschnallt. Er, der sich in den letzten Tagen offen gegen die Vorsitzende Gabi Zimmer gestellt und eine Gegenkandidatur angekündigt hatte, musste nur die von der Empore flatternden Transparente lesen: »Keine Macht für Machtgeile«, »Sozialisten statt Sozis«, »Sozialismus statt Bartschismus«. Allen Beteiligten war klar, dass dieser Parteitag nach Wahlniederlage und Führungsstreit etwas turbulenter werden würde. Schließlich ist Bartsch kein Heuriger: »Ich habe mindestens zehn Parteitage organisiert und davon acht höchst erfolgreiche«, sagt er. Zu den weniger erfolgreichen muss er offenbar Münster rechnen, als die Delegierten entgegen der Vorstandsempfehlung Militäreinsätze generell - also auch unter UN-Mandat und per Einzelfallprüfung - ablehnten. Damals war Bartsch ziemlich kopflos aus dem Saal gerannt. Damals war er mit Zimmer im Parteivorstand noch einig gewesen. Und damals hatte Sylvia-Yvonne Kaufmann Bartsch, Gysi und all den anderen unter Tränen die Stirn geboten. Jetzt in Gera sind die Konstellationen anders. Bartsch will Kaufmann - sollte er die Delegierten überzeugen und endlich Parteivorsitzender werden - zu seiner Stellvertreterin machen. Und Gabi Zimmer ist die Kontrahentin. Als es zu ersten nachdrücklichen Pro-Gabi-Beifallsstürmen bereits vor der Rede der Vorsitzenden kommt, verschwindet langsam das Lächeln aus dem Gesicht des Bundesgeschäftsführers, der neben Gabi Zimmer in der ersten Reihe des Saales sitzt. Dass zwischen beiden Kandidaten die Chemie nicht stimmt, verrät die Körpersprache, Worte und Blicke werden nicht getauscht. Aber das ist nicht neu, schon das Wahlplakat der »Vierertruppe« hatte den Eindruck ziemlicher Kommunikationsstörungen vermittelt. Völlig gefriert Bartsch sein angespanntes Lächeln allerdings erst im Verlauf von Gabi Zimmers Rede. Später wird er nicht ganz ohne Respekt von professioneller Organisation sprechen und die Stimmung auf den Zuschauertribünen meinen. Später, als er das Lächeln in die Kameras wiedergefunden hat und manchen traurigen, wütenden, hoffnungslosen Delegierten in den Arm nimmt - was allemal sympathischer wirkt als das übliche »Küsschen hier und Küsschen da«, das der bis dato Bundesgeschäftsführer ansonsten zelebriert. Aber erst einmal hat er eine lange Stunde mitzuerleben, wie Gabi Zimmer die Herzen der Delegierten erobert. Klar, dass der Saal tobt, als sie vom Kampf um die politische Kultur in der PDS, von Arroganz, Abschottung, Machtstreben und informellen Strukturen in der Partei spricht. Klar, dass es den Delegierten der Westverbände gut tut, wenn sie verspricht, sich hin und wieder die Westbrille aufzusetzen. Klar, dass ankommt, wenn die Vorsitzende den Parteitag geradezu anfleht, den Vorstand nie mehr mit sich allein zu lassen. Beifallsstürme, rhythmisches Klatschen, Bravorufe begleiten die alte und mit dieser Rede klare neue Vorsitzende von der Bühne, auf der Helmut Holter als Mitglied der zeitweiligen Tagungsleitung mit erstarrtem Gesicht sitzt, zurück an ihren Platz. Die Delegierten sind längst aufgesprungen, auch ihre alten und neuen Stellvertreter Diether Dehm und Peter Porsch sowie Thüringens PDS-Landeschef Dieter Hausold. Deutlich langsamer erheben sich die anderen in der ersten Reihe, auch Petra Pau, sitzen bleibt zum Schluss nur Dietmar Bartsch - später nimmt er dankbar den vom wieder davongeeilten Geraer Oberbürgermeister frei gewordenen Platz weiter entfernt von Zimmer ein. Zu einem Glückwunsch kann Dietmar Bartsch sich dann doch noch aufraffen. Nach der Wahl Gabi Zimmers, zu der er schon als Gegenkandidat nicht mehr angetreten ist, hat er die bereits gewohnte Jovialität wiedergefunden. Lächelt, schüttelt der Vorsitzenden die Hand, wirkt gelöst. In wenigen Sätzen, die einzigen, die öffentlich von ihm auf diesem Parteitag - und das exakt um 21.45 Uhr am Samstag - zu hören sind, hatte er seinen Rückzug von der Gegenkandidatur mit der Erfolglosigkeit des »Berliner Antrags« und des »Gehrcke-Antrags« begründet, in denen er sich wiedergefunden hätte. Ersteren hatten die Berliner kurz zuvor zu Gunsten des Papiers von Wolfgang Gehrcke zurückgezogen, letzteren hatten die Delegierten nicht zum Zuge kommen lassen. Der Bartsch-Verzicht wurde im Saal schon eher marginal zur Kenntnis genommen, schließlich hatte Roland Claus derweil für Verwirrung gesorgt, als er buchstäblich in letzter Minute seine eigene Gegenkandidatur zur Vorsitzenden bekannt gab. Das, weist Bartsch Interpretationsversuche in Richtung Szenario zurück, habe auch ihn überrascht. Doch für derlei Überraschungen hat er nicht allzu viel Zeit. Er spricht in Mikrofone von einem schweren Tag für die PDS, von tiefer liegenden Ursachen, die nicht auf Probleme des Viererteams zu reduzieren seien, vom Aufbruch all der Dinge, die mit Blick auf den Wahltag unter der Decke gehalten worden seien. »Manch einer wird erst am Montag oder Dienstag richtig verstehen, was hier passiert ist«, ist er sich gegenüber ND sicher. Angela Marquardt ist da manchem Delegierten offenbar voraus. Sie streitet sich vor dem Saal lautstark mit einer Parteitagsteilnehmerin. Bartsch ist sofort zur Stelle, nimmt Angela tröstend in den Arm. Möglich, dass er ihr sagte, was er beim separaten Auszeit-Treffen vor der sich abzeichnenden Niederlage formuliert hatte: »Uns muss nicht das Leid der Welt im Gesicht stehen.«

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