Ein Aufklärer

Heute wird der Regisseur Rolf Schübel 60 Jahre alt

  • Martin Mund
  • Lesedauer: 3 Min.
Seine Auffassung vom Beruf ist selten geworden unter deutschen Filmregisseuren: Rolf Schübel, der heute 60 Jahre alt wird, versteht sich als Aufklärer, Mahner, Provokateur. Seine Arbeiten, so unterhaltsam sie formal gesehen auch immer daherkommen mögen, fragen stets nach Charakter und Moral ihrer Helden; sie sind politisch. Man erinnere sich nur an das Fernsehspiel »2 1/2 Minuten« (1997), über den Zusammenprall junger Ost-Berliner Neonazis und Kreuzberger Türken in der S-Bahn zwischen Springpfuhl und Friedrichsfelde. Das tatsächliche Geschehen nahm Schübel zum Anlass, um fiktional über Lebensläufe und -ziele zu reflektieren. Schübel hatte in Hamburg zunächst Literaturwissenschaft und Soziologie studiert. Hier lernte er den Dokumentaristen Theo Gallehr kennen, der ihn als Assistent mit dem Metier vertraut machte. Als Schübel am Latinum scheiterte, gab er das Studium auf und wechselte ganz zum Film. Zu ersten gemeinsamen Arbeiten mit Gallehr, die im Auftrag von NDR, Radio Bremen und WDR entstanden, gehörten Titel wie »Zwischen Wohlstand und Klassenkampf« (1969), »Ausbeutung der Lehrlinge« (1970) und vor allem »Rote Fahnen sieht man besser« (1971). Hier ging es um die Schließung eines Chemiebetriebes in Krefeld, den Abbau von rund 2000 Stellen, die Reaktionen der Arbeiter, die Formierung der Gewerkschaftsbewegung. Die Dokumentation, konsequent aus der Perspektive der Betroffenen erzählt und mit politökonomischen Erkenntnissen untermauert, erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Allerdings blieben die Vertreter der Industrie der Verleihung des Adolf-Grimme-Preises geschlossen fern - so wie sie im Verbund mit konservativen ARD-Direktoren bereits vorher dafür gesorgt hatten, dass der Film nur gekürzt ausgestrahlt werden konnte. Auch nachdem Schübel 1974 eine eigene Produktionsfirma gegründet hatte, blieb er dem Credo treu, sich für seine Helden Zeit zu nehmen: Nur dank sensibler Recherchen konnten solche spektakuläre, aber nie spekulative Dokumentationen entstehen wie »Nachruf auf eine Bestie« (1982) über einen Kindermörder oder »Der Indianer« (1987) über den Lebenskampf eines an Kehlkopfkrebs erkrankten Mannes. Neben diesen Porträts drehte der Regisseur immer wieder soziale Reportagen: »Rund um die Uhr - Schichtarbeiter-Alltag« (1978), »Gemeinsam können wir viel erreichen« (1981) oder »Geht uns die Arbeit aus?« (1984). Und gemeinsam mit Grigori Tschuchrai folgte er 1993 den Spuren einstiger »Todfeinde«: ein Essay über das Sterben und Überleben in Stalingrad. Ende der 80er Jahre folgte der Schritt zum großen, intellektuell erregenden Spielfilm: »Das Heimweh des Walerjan Wrobel« schilderte den authentischen Fall eines polnischen Bauernjungen, der als Fremdarbeiter nach Nazideutschland verschleppt wurde, aus Heimweh eine Scheune anzündete und dies mit dem Tod bezahlen musste. Eine Studie über die Bewahrung von Menschenwürde in einem eiskalten Räderwerk aus Befehlen und Vorschriften. Ebenfalls im Dritten Reich war Schübels zweiter Spielfilm angesiedelt, »Ein Lied von Liebe und Tod - Gloomy Sunday« (1999), ein ebenso elegantes wie hintergründiges Melodram, das die Verbrechen des Holocaust über eine individuelle Geschichte erfahrbar machte und den »Mythos vom guten Schindler-Nazi auf bös ironische Weise brach« (Peter Hoff). Aus der deutschen Kino-Alltagskost ragen solche Produktionen weit heraus. Bedauerlich bleibt nur, dass Rolf Schübel viel zu selten auf der großen Leinwand präsent ist. Aber vielleicht liegt gerade darin ein Teil seines Erfolgs begründet: Dass er wartet, bis ein Stoff tatsächlich nach dem Kino schreit. Und sich sonst dem - ebenso bitter nötigen - anspruchsvollen Fernsehspiel zuwendet.
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