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Eine »One Stop Agency« ist zu wenig

Berliner Wirtschaftsförderung wird nach außen gebündelt und nach innen mit Druck koordiniert

  • Lesedauer: 7 Min.
Berlin versucht, den oft kritisierten Förderdschungel für Investoren zu lichten und die Verwaltung zu schnellen Entscheidungen anzutreiben. Warum eine Anlaufstelle für die Wirtschaft dennoch nicht reicht, darüber sprach mit dem Berliner Wirtschaftsstaatssekretär Volkmar Strauch ND-Redakteurin Michaela von der Heydt

ND: Seit langem wird Berlins Förderdschungel kritisiert und eine einzige Anlaufstelle für investitionsbereite Unternehmen gefordert. Wann wird es diese geben?
Strauch: Noch 2003 sollen sowohl hier ansässige Unternehmen als auch in- und ausländische Firmen einen primären Ansprechpartner haben, wenn sie investieren möchten. Diese »One Stop Agency« - kurz OSA - wird im Ludwig-Erhard-Haus angesiedelt sein. Sie besteht hauptsächlich aus einem Zusammenschluss der Wirtschaftsförderung Berlin GmbH (WFB) und der Berliner Absatzorganisation (BAO) und wird im Laufe des Jahres 2003 in allen Bereichen voll arbeitsfähig sein. Eine wichtige Rolle wird dabei auch die Investitionsbank Berlin (IBB) spielen, die bereits heute Gesellschafterin der WFB ist und zuständig ist für Fragen der finanziellen Investitionsförderung.

Wie wollen Sie das Konkurrenzdenken zwischen Berlin und Brandenburg, Bezirk und Landesebene und den verschiedensten Institutionen bündeln?
Zunächst wollen wir die verschiedenen Akteure auf ihre Kernaufgaben reduzieren - also ihre Neigung zurückschneiden, sich ebenfalls um Investoren zu kümmern, obwohl es nicht ihre Aufgabe ist. Zum Beispiel soll die Technologiestiftung primär Netzwerke bilden zwischen den entsprechenden Unternehmen in der Region. Die Berlin Tourismus GmbH kümmert sich um Reiseveranstalter, Geschäftsreisen und Touristen. All diese Organisationen haben sich auf ihren speziellen Fokus zu konzentrieren. Darüber hinaus können sie der OSA zuarbeiten. Gleiches gilt für die Verwaltung, bei der es ebenfalls Tendenzen gibt, Funktionen einer Wirtschaftsförderungsgesellschaft zu übernehmen.

Wie wollen Sie diese Verpflichtung auf Kernaufgaben durchsetzen?
Durch vertragliche Vereinbarungen, die Zielvereinbarungen mit den Geschäftsführern enthalten. An vielen Organisationen ist Berlin ja als Gesellschafter beteiligt oder sie bekommen öffentliches Geld durch Aufträge. Wenn zum Beispiel »Partner für Berlin« neben dem Hauptstadtmarketing Auslandsreisen organisierte, obwohl dies Sache der OSA ist, würde das die entsprechende Zielvereinbarung verletzen.

Wie soll die Fusion der privaten BAO und der öffentlichen WFB Berlin gestaltet werden? Welche finanziellen Einsparungen erwarten Sie?
Die neue OSA wird eine GmbH werden. Die IBB ist derzeit Hauptgesellschafterin der WFB. Anteile an der BAO halten derzeit neben der IHK und der Handwerkskammer zwei Wirtschaftsverbände, die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg und eine Bank. Zweck der OSA ist es nicht, vordergründig den Haushalt zu entlasten. Aber die neuen, strafferen Strukturen werden selbstverständlich auch Kosten sparen. Die OSA wird keine Personal-Addition von BAO und WFB sein, und ein Teil der Leistungen, die bislang von der BAO abgedeckt wurden, wird auch entgeltpflichtig sein. Bei der WFB sind fast alle Leistungen für den Kunden kostenlos. Das wird so bleiben, weil es im Interesse Berlins liegt.

Was geschieht, wenn Unternehmerinnen und Unternehmer beispielsweise Probleme mit den Berliner Verwaltungen haben und die Genehmigungsprozeduren stocken?
Hierfür wird es quasi eine »interne OSA« geben, die wir aber »Anlauf- und Koordinierungsstelle« nennen werden. Ihre Aufgabe ist es, alle verwaltungsinternen Widrigkeiten aus dem Weg zu räumen.

Zum Beispiel?
Wir müssen Behörden zur raschen, einheitlichen Entscheidung zwingen, wenn sie gegeneinander arbeiten. Auch für Fälle, bei denen Ämter sagen: »Ich entscheide erst einmal nicht«, streben wir eine »Koordinierungsmacht« an. Wir wollen alle Beteiligten zur Klärung an einen Tisch holen können. Die einzelnen Akteure behalten aber ihre fachlichen Zuständigkeiten.

Was soll sich ändern, wenn alle Beteiligten auf Bezirks- und Landesebene ihre Zuständigkeiten behalten und die Reform nur aus der Fusion von BAO und WFB besteht?
Die Änderung besteht im Kern aus drei Elementen. Neben der erwähnten Fusionierung bestimmter Einrichtungen werden wir uns aus anderen Institutionen ganz verabschieden. Zum Beispiel gibt es neben der WFB noch das »Industrial Investment Council« (IIC), eine Einrichtung der Bundesregierung und der neuen Bundesländer für Standortmarketing. Das hielten wir in einer Übergangsphase für sinnvoll, aber wir werden unsere Beteiligung dort 2004 beenden. Das dritte Element ist - wie erwähnt - die Reduzierung der anderen Akteure auf ihre Kernaufgabe und die klare Abgrenzung der Kompetenzen untereinander durch Verträge.

Wie wollen Sie auf Ebene der Senatsverwaltungen Abläufe straffen?
Wir fangen mit gutem Beispiel in unserem Hause an. Aus drei Abteilungen, die bisher für Wirtschaft zuständig sind, machen wir zum 1. Januar 2003 zwei und gliedern sie neu. Eine Abteilung verantwortet dann die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, also die Wirtschaftspolitik im klassischen Sinne: Erarbeitung von Gesetzesvorlagen und staatliche Aufsichtsfunktionen wie zum Beispiel die Preis- und Kartellbehörde. Die zweite Abteilung wird die Anlauf- und Koordinierungsstelle sein, also die »interne OSA«. Sie konzentriert sich auf die Betreuung von Unternehmen - zum Beispiel bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten oder bei Betriebserweiterungen - und auf die Koordinierung von Verwaltungsverfahren.

Wie durchsetzungsfähig ist die angestrebte Koordinierungsmacht, wenn jeder seine Zuständigkeit behält?
Wenn ein Unternehmen Schwierigkeiten hat durch einander widersprechende Entscheidungen - etwa weil der Denkmalschutz und die Umweltbehörde nicht wollen, das Bezirksamt und wir aber positiv eingestellt sind -, dann können wir alle diese Dienststellen an einen Tisch beordern. Wenn sie nicht kommen, gilt es als Zustimmung zu unseren Gunsten und wir können innerhalb angemessener Fristen entscheiden. Wenn sie erscheinen, eine gemeinsame Entscheidung dennoch nicht zustande kommt, wird die Angelegenheit in einem Chefgespräch zwischen den betroffenen Senatoren oder gleich im Senat entschieden. Wir wollen damit zweierlei erreichen: erstens die Verfahren beschleunigen und zweitens gegenseitige Blockaden auflösen. Vieles läuft ja reibungslos, aber es gibt derzeit in Berlin leider auch immer wieder den Fall, dass sich unterschiedliche Behörden gegenseitig blockieren und Anträge dadurch einfach liegen bleiben. Jeder Senator ist ein Kurfürst in seinem Reich, und der Kaiser - sprich Regierender Bürgermeister - hat kein Sagen über ihn. Auf Bezirksebene ist es genauso. Der Bezirksbürgermeister hat kein Weisungsrecht gegenüber seinen Stadträten. Diesen Mangel wollen wir durch die Koordinierungsmacht unserer Behörde und die Entscheiderkonferenzen beheben.

Berlin ist pleite. Für 2003 muss es einen Nachtragshaushalt geben. Oft fehlte schon das Geld zur Co-Finanzierung für EU-Mittel. Wird bei der Wirtschaftsförderung auch abgespeckt?
Im Prinzip haben Sie Recht. Aber dieses Jahr investieren die Berliner Unternehmen so zögerlich, dass wir die uns zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel für Wirtschaftsförderung nicht vollständig ausgeben werden. Bezüglich der Mittel für die Wirtschaftsförderung kann ich mir aber weder für 2002 noch für 2003 vorstellen, hier größere Summen einzusparen. Dieses Instrument ist tatsächlich so wichtig, dass wir nicht unter eine bestimmte Schwelle gehen können. Wir wollen ja Investoren herholen, die ihrerseits dann Steuern zahlen, wenn sie hier sind.

Wie viel Personal wird die OSA haben?
Das ist noch Gegenstand der Gespräche mit BAO und WFB, aber auf jeden Fall weniger als die beiden zusammengenommen derzeit haben. Im Leitungs- und Verwaltungsbereich kann manches zusammengelegt werden; auch werden einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BAO nicht der neuen Gesellschaft angehören, weil sie sich mit klassischen Aufgaben einer IHK-Außenhandelsabteilung beschäftigen, wie etwa dem Ausstellen von Exportbescheinigungen.

Wird es inhaltliche Veränderungen bei der finanziellen Wirtschaftsförderung aus dem Landeshaushalt geben?
Es gibt hier drei große Förderbereiche: Infrastruktur, Investitionsvorhaben und Innovationsvorhaben in Forschung und Entwicklung. Die Tendenz, die sich auch in der Koalitionsvereinbarung widerspiegelt, geht dahin, die Mittel tendenziell stärker in Richtung Infrastruktur zu verlagern und im Gegenzug bei der unternehmensbezogenen Förderung etwas abzusenken. Aber solange die Wirtschaftsstandorte um uns herum, mit denen wir konkurrieren, weiter unternehmensbezogene Förderung anbieten, können wir es uns nicht erlauben, völlig auf sie zu verzichten.

Wie wird sich der Kampf um Firmenansiedlung zwischen Berlin und Brandenburg gestalten?
Wir sind auf jeden Fall gut beraten, wenn wir enger zusammenarbeiten und uns nach außen noch besser als eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktregion Berlin-Brandenburg darstellen. Im Einzelnen unterscheide ich drei Phasen im Ansiedlungsprozess: Erstens die Werbephase für die Region Berlin-Brandenburg. Hier streben wir eine enge Kooperation an. Wenn sich ein Investor dann für die Region entschieden hat und einen Standort sucht, gibt es wie in Nordrhein-Westfalen zwischen Köln und Düsseldorf, auch hier zwischen Berlin und Cottbus oder Frankfurt (Oder) und Potsdam einen Wettbewerb der standortbezogenen Wirtschaftsfördergesellschaften. Dann kommt die dritte Phase: Der Investor hat sich hier niedergelassen und möchte sich etablieren. Jetzt sollte die Region wieder zusammenarbeiten, ihn zum Beispiel bei seinen Auslandsaktivitäten oder der Suche nach Arbeitskräften unterstützen.

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