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  • Kultur
  • In der ARD: „Sidonie“

Appell ohne große Worte

  • Lesedauer: 3 Min.

Dem „Unvermögen, zu vergessen“, verdanke dieser Film sein Entstehen, erklären die Autoren in einem Epilog. „Sidonie“: die Geschichte des kurzen Lebens der Sidonie Adlersburg, die 1933 nur Tage^nach^ ihrer Geburt von der Mutter 'ausg'e^ setzt und von der Arbeiterfamijie^ Breitner im österreichischen Steyr in Pflege genommen wurde, bis sie 1943, lOjährig, ihren Pflegeeltern fortgenommen und im Nazi-Konzentrationslager ermordet wurde. Sidonie war Zigeunerin. Dir Tod war Teil des faschistischen Völkermordes am Volk der Sinti und Roma, der bis heute kaum offizielle Beachtung, geschweige denn Sühne erfahren hat.

Die Autoren Erich Hackl (Buch) und Karin Brandauer (Regie) erzählen das Leben der kleinen Sidonie unsentimental, ohne große Worte, mit oft verblüffender Sachlichkeit. Die Handlung wird über kleine, alltägliche Eposiden erzählt, in denen Haltungen deutlich werden. Der Dialog ist auf ein Minimum beschränkt. Kitti Speiser und Georg Marin spielen das Proletarierehepaar Josepha und Hans Breitner. Gleichsam am Rande wird an ihrer Darstellung alltäglicher Vorgänge in der Zeit zwischen der Wirtschaftskrise und

Er hat die Nervosität eines Tausendfüßlers, der zuviel Ostfriesentee getrunken hat: ein Flattern und Hüpfen, ein Hüpfen und Flattern! Er ist der Nonsensmann, der alles Ernste, also Lachhafte, niedermäht. An ihm ist alles freundlichst jenen Dingen zugetan, die Ostfriesland ausmachen: Der Mann ist schmächtig, da kann der Wind flugs hindurchpfeifen auf seinen Wegen übers Land; der Mann rudert mit Armen und Beinen – das ist Werbung für die Windmühlen und Don Quichote zugleich; des Mannes Handwerk ist sein Mund-Werk: jeder Wortschwall als kleiner Bruder der Sturmflut; ein Gezeitenspiegel – der freilich keine Ebbe kennt. Aus Ostfriesland hat Waalkes (der übrigens momentan ein Hollywood-Filmangebot prüft) Ottofriesland gemacht, und seine Geburtsstadt Emden beherbergt seit August 1987 ein Museum, das zu den meistbesuchten Anziehungspunkten des Landstrichs zwischen den sieben ostfriesischen Inseln und Oldenburg gehört: das Otto-Huus. Wo Emden regiert wird, am Delft, dem alten Binnenhafen, schräg gegenüber dem Rathaus – dort steht das spitzgieblige Gebäude, dessen Ottifanten über dem Portal weithin von seiner originellen Sinngebung künden. Wer von außerhalb die Spur zum Hafen gefunden hat, weiß schon viel von ostfriesischer Welt: Denn auf dem Weg in die Stadt, die im 16. Jahrhundert um die sechshundert Schiffe besaß, mehr als ganz England, wird das Land immer flacher und überschaubarer („Gebt mir die Herrlichkeit von Emden“, bittet Faust den Mephisto im Drama Christopher Marlowes, der Zeitgenosse Shakespeares war). Piraten, die Hanse und preußische Könige interessierten sich einst für die

dem antifaschistischen Widerstandskampf in den 40er Jahren ein Stück der österreichischen Arbeiterbewegung anschaulich. Die Geschichte um Sidonie bekommt so ihren historischen und sozialen Hintergrund, bleibt aber dominant. Die Darstellerin des Mädchens Arghavari Sadeghi-Seragi gibt in den einzelnen Episoden dem natürlichen Verlangen des Kindes Ausdruck, in seiner Individualität angenommen zu werden. Das Kind stellt sich so gegen die Vorurteile und gegen Brutalität und Gedankenlosigkeit, die ihm tagtäglich entgegenschlagen. Hier gewinnt der österreichische Film über die historische Darstellung hinaus Bedeutung: Der Appell gegen das Vergessen wird aktuell, wendet sich gegen Ausländernaß und Chauvinismus heute. Die Autoren zeigen aber auch in den Gestalten des kommunistischen Arbeiters Breitner und seiner Frau eine Alternative der tätigen Solidarität, des humanitären Engagements. Das Schicksal des Kindes im Räderwerk des gewöhnlichen Faschismus erhält eine politische Bedeutsamkeit, indem es uns menschlich bewegt. Der Film wurde mit dem europäischen Filmpreis ausgezeichnet. PETER HOFF

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