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Nordpol auf Wanderung

Pol könnte in 50 Jahren über Sibirien liegen/Forscher untersuchen Folgen für Stromnetze und elektronische Anlagen

  • Walter Willems
  • Lesedauer: 3 Min.
Deutsche Wissenschaftler haben kürzlich das interdisziplinäre Zentrum für Katastrophenmanagement und -vorsorge (CEDIM) gegründet. Die Einrichtung der Universität Karlsruhe und des GeoForschungsZentrums Potsdam (GFZ) widmet sich der Erforschung von Überschwemmungen, Stürmen, Vulkanismus und Erdbeben. Daneben enthält sie aber auch einen Projektbereich mit dem rätselhaften Namen »Elektromagnetische Tiefensondierung und geomagnetische Felder«. Die hier versammelten Wissenschaftler erforschen unter anderem das Phänomen der Polwanderung und deren potenzielle Auswirkungen auf technische Einrichtungen wie etwa Stromnetze, Pipelines oder die Elektronik von Flugzeugen und Satelliten. Die Aufmerksamkeit der Forscher hat ganz konkrete Gründe: Zwar ist der magnetische Nordpol schon seit langem nicht mehr mit dem geographischen Nordpol identisch, doch seit einigen Jahren verzeichnen Forscher eine zunehmende schnellere Wanderung der Magnetpole. Waren es um 1900 nur wenige Kilometer pro Jahr, so wandert der magnetische Nordpol mittlerweile jährlich etwa 40 Kilometer, erklärt der Leiter des CEDIM-Projektbereichs, Professor Hermann Lühr vom Potsdamer GFZ. Derzeit noch zwischen Nordostkanada und Grönland gelegen, könnte er nach Lührs Einschätzung in gut 20 Jahren in der Nähe des geographischen Nordpols angelangt sein und schon bis zum Jahr 2050 Sibirien erreichen. Zusammen mit dieser Wanderbewegung beobachten Forscher ein zweites Phänomen: Das Magnetfeld der Erde, das den Planeten vor dem Einfluss kosmischer Stürme schützt, hat sich laut Karsten Bahr von der Universität Göttingen in den vergangenen 150 Jahren um etwa acht Prozent abgeschwächt. Die Auswirkungen dieses so genannten Sonnenwindes bekamen 1989 die Bewohner Ostkanadas hautnah zu spüren. Damals führten von der Sonne ausgestoßene, stark aufgeladene Teilchenströme in der Provinz Quebec zu schweren Störungen des Stromnetzes. Mehrere Transformatoren brannten nach Überhitzung ab, die Elektrizitätsversorgung der gesamten Provinz war neun Stunden lang lahm gelegt. Wenn das geschwächte irdische Magnetfeld solche Teilchenströme nur noch ungenügend abfangen könnte, wären auch elektronische Anlagen, etwa in Flugzeugen oder Satelliten betroffen. Die Polwanderung und die Abnahme des Magnetfeldes sind höchstwahrscheinlich miteinander verbundene Prozesse. Gesteinsmagnetische Untersuchungen zeigen, dass Nord- und Südpol im Laufe der Erdgeschichte durchschnittlich alle 500000 Jahre ihre Position tauschen. Vor dieser Polumkehr schwindet das Magnetfeld zunehmend und verschwindet schließlich nahezu ganz, bevor es sich danach in entgegengesetzter Orientierung wieder neu aufbaut. Das letzte Umklappen der Pole ereignete sich vor etwa 750000 Jahren, was einen neuerlichen Polsprung befürchten lässt. Auch wenn der von den Wissenschaftlern benutzte Begriff »Polsprung« ein plötzliche Ereignis impliziert, dauert diese Entwicklung laut Lühr etwa 1000 bis 2000 Jahre. Da es sich um einen chaotischen Prozess handele, seien zuverlässige Prognosen allerdings nicht möglich, so der Geophysiker. Ziel des CEDIM-Projektbereichs ist es, die Risiken in Zusammenhang mit der Polwanderung und der Abnahme des Magnetfeldes zu erforschen und konkrete Vorkehrungen, vorerst vor allem zum Schutz technischer Anlagen zu entwickeln. Die Quelle für das Magnetfeld liegt weit im Erdinneren, im flüssigen äußeren Erdkern unterhalb von etwa 2900 Kilometer Tiefe. Weil dieser Kern zur Mitte hin heißer ist als außen am Erdmantel, ist die Flüssigkeit in ständiger Konvektionsbewegung, ähnlich wie brodelndes Wasser in einem Kochtopf. Zusätzlich löst die Rotationsbewegung der Erde Wirbel aus, vergleichbar mit den Hoch- und Tiefdruckgebieten in der Atmosphäre. Da der flüssige Erdkern vor allem aus elektrisch leitenden Metallen besteht, wird die Bewegungsenergie in elektrische Energie umgewandelt. Diese elektrischen Ströme erzeugen wiederum magnetische Felder, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Polwanderung hat aber auch eine erfreuliche Seite, wenn auch mehr ästhetischer Natur: Sollte der magnetische Pol in der Tat nach Süden vorrücken, kann man sich in Deutschland auf ein faszinierendes Naturspektakel freuen: Die von der Sonne ausgehenden magnetischen Stürme bewirken nämlich nicht nur Störungen der Stromversorgung, sondern verursachen auch die Polarlichter, die dann häufiger in unseren Breiten sichtbar wären. Internet: http://www.cedim.de

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