Der Abschied kommt per Handy

Uraufführung von Esther Vilars »Carmen - Schauspiel für 10 Mobiltelephone« in Altenburg

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit ihrem 1971 erschienenen Buch »Der dressierte Mann« war die deutsch-argentinische Autorin und gelernte Ärztin Esther Vilar auf einen Schlag bekannt geworden. Darin hatte sie die These vertreten, dass nicht die Frauen von den Männern, sondern die Männer von den Frauen unterdrückt würden. Für die Frau sei Liebe »Vorwand zur kommerziellen Ausbeutung« und für den Mann »emotionsgetränktes Alibi für seine Sklavenexistenz«. Auch in Vilars neuestem Stück geben die Frauen den dominierenden Part. Sie bestimmen, wann Schluss mit ihren Beziehungen zum Partner ist. Eine 60-Jährige meldet gar mit dem Hinweis auf die Langeweile im ehelichen Bett ihren Anspruch auf deutlich jüngere Liebhaber an. Es ist ein Stück vom Verlassen und Verlassenwerden. Von der Terrasse bzw. dem angrenzenden Garten eines Opernhauses aus - während im Inneren des Musentempels eine Vorstellung von Bizets Oper »Carmen« läuft - rufen drei Frauen mit dem Handy (deshalb der seltsame Untertitel) ihre Männer an und teilen ihnen ihre Absicht mit, sich von ihnen endgültig trennen zu wollen. Da ist die 20-jährige ebenso tough wie erfolgreiche Computerspezialistin, die auf der Suche nach neuen Liebeserfahrungen ist; da ist die 40-jährige Sängerin, die weiß, dass sie todsterbenskrank ist und ihrem Geliebten das ganze Elend nicht aufladen will, und da ist jene 60-Jährige, die es in die Arme von männlichem »Frischfleisch« treibt. Und dann gibt es noch drei Männer, die ihre Frauen von der gleichen Stelle aus anrufen und von deren Trennungsabsichten per Handy erfahren: ein Junkie, den die Eifersucht an die Drogennadel gebracht hat; ein Musikkritiker im mittleren Alter, der so unterwürfig um die Aufrechterhaltung seiner Beziehung zu einer jüngeren Frau kämpft, als wollte er der Autorin These von der männlichen Liebe als »Sklavenexistenz« beweisen - und ein 60- jähriger Geschäftsmann, der durch die unerwartete Abweisung aus aller selbstgewissen Eitelkeit gerissen wird. Die Nähe zur Oper »Carmen« ist überdeutlich. So wie die lebenshungrige Carmen José verlässt, so wollen die drei emanzipierten Damen sich aus Beziehungen lösen, die ihnen langweilig geworden sind. Und um diese Nähe auf die Spitze zu treiben, lässt die Autorin am Ende - nun sind alle sechs Mobilfunkteilnehmer gemeinsam auf der Bühne - die Männer zum rächenden Messer greifen. Real- und Opernhandlung sind mit nahezu mathematischer Genauigkeit ineinander verschränkt worden. Daraus ergeben sich Motivübereinstimmungen - ebenso wie kontrapunktische Nichtentsprechungen. Die Opern-Carmen singt schwelgerisch: »Die Liebe hat bunte Flügel«, und im jähen Bruch dazu beschließt die unheilbar kranke Sängerin der Realhandlung, die Sehnsucht zu ihrem Liebhaber in sich abzutöten. Carmen schwärmt singend von den Schönheiten des freien Lebens, und die drei Frauen geben ihren abwesenden Männern Freiheitssehnsucht als Trennungsgrund an. Der Bühnen-José beklagt Carmens Untreue, und gleichzeitig wanken die vom Trennungsschmerz gezeichneten realen männlichen Unglücksgestalten von der Bühne. Inszenatorisch werfen die kopflastigen Texte der Vilar manche Probleme auf. Das ausgeklügelte Konstruktionsschema scheint nicht selten durch, die Scharniere knacken, und die Figuren sind in Gefahr, Kopfgeburten zu bleiben. In Altenburg hat Regisseur Mario Holetzek dieser Gefahr entgehen wollen, indem er wirkungssüchtig nach immer neuen, immer abenteuerlicheren Hinzuerfindungen sucht. Im Garten hängt eine Schaukel, in deren Stricken sich der unglückliche Junkie just in dem Moment verheddert, in dem er von den Trennungsabsichten seiner Freundin erfährt; die drei Frauen lassen ihre verlassenen Männer Stieren gleich gegen rote Tücher anrennen, Sektgläser fliegen, die drei gierigen Weiber reißen einem Stierkämpfer die Kleider vom Leibe, und um den im Garten stehenden bronzenen Riesenstier herum toben allerlei Torerospielchen. Diese Einfälle aber wachsen nur selten zwingend aus der Situation. Sie illustrieren und peppen auf, wo sie das Spannungsverhältnis zum allzu glatten Text suchen müssten. Der von der Abweisung getroffene Junkie muss zu allem Übel im Moment der Hiobsbotschaft in einem Springbrunnen stehen und die ältere Dame ihre Gier nach jungen Liebhabern mit den einschlägigen Reitbewegungen unterstreichen. Wesentlicher noch: Der Regisseur hat nicht vermocht, seine Schauspieler auf eine verbindliche Spielweise einzuschwören. Da geht stilistisch nur wenig zusammen. Allein in der Frage, was auf der Bühne komisch ist, laufen die Ansichten auseinander. Während Ulf Perthel als der gehörnte Musikkritiker die Gewittercharge eines hasenfüßigen Schlappschwanzes liefert und dadurch die tragikomischen Züge der Figur schuldig bleibt, zeigt Peter Prautsch ohne karikierende Übertreibungen die wahrhaft komische Studie eines bislang dominierenden Ehepaschas, der nun die Welt nicht mehr versteht. Insgesamt eine Inszenierung, die sich vor allem den Oberflächenreizen der Stückvorlage verpflichtet fühlt.
Weiter am 14., 22. März in Gera.
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