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„Zehn Schuljahre, das hat sich eingebürgert“

  • Lesedauer: 3 Min.

Auch in Brüsewitz, ein paar Orte weiter, wurde aus der polytechnischen Oberschule eine Realschule mit integrierter Grund- und Hauptschule. Von 360 Schülern sind knapp 100 Hauptschüler, die anders als in Wittenförde in Extra-Klassen zusammengefaßt sind. „Es arbeitet sich herrlich in den Gruppen mit leistungsstarken Kindern“, schwärmt Helgard Geu, amtierende Schulleiterin. „Bei den anderen umso schlechter.“ Wie sich das neue Schulsystem bewähren wird, wagt sie noch nicht zu beurteilen: „Ich halte es nicht für absolut und letztendlich. Es gibt ja theoretisch den Übergang von der Haupt- zur Realschule.“ Doch wenn schon in der 4. Klasse erkannt werden muß, was in dem einzelnen Kind steckt, was wird dann mit den Spätentwicklern? Wie Hans-Joachim Hensel sieht sie die Gefahr, daß für ein Kind die Weichen unwiderruflich falsch gestellt werden.

Die Eltern in Brüsewitz und Wittenförde haben nicht allzuviel über das Schulsystem diskutiert. Hauptsache, ihr Kind ist irgendwo untergebracht und muß nicht so weit fahren. Das Gesamtschulmodell

rangierte in der Diskussion an unterster Stelle, weil angeblich die Schülerzahlen dazu gar nicht ausreichen. Ganz eindeutig ist für die Brüsewitzer Schulleiterin aber eines: die Eltern wollen eher mehr Bildung für ihr Kind als zuwenig: „Zehn Jahre Schule, das hat sich eingebürgert. Es war schon früher nicht gut, wenn ein Kind die nicht schaffte, jetzt erst recht nicht.“

Beide Schulleiter aus Mecklenburg-Vorpommern sind mit Alltagssorgen überhäuft, und dennoch läßt sie der Gedanke nicht los, ob denn ein anderes Schulsystem noch denkbar wäre. Für Hans- Joachim Hensel wünschenswert ist „eine Integration im Unterricht, wo sich jeder auch später entwickeln kann. Ob das mit dem jetzigen System möglich ist, muß der Versuch zeigen“

„Eine andere Hauptschule als im Westen wird es hier nicht geben“, sagt Georg Huyoff, Leiter des Bildungsreferates beim GEW-Landesvorstand. Für ihn steht fest, daß die Kinder in Hauptschulklassen eine Negativauslese bilden und kaum mehr einen Motivationsschüb haben können. „Ihre Eltern stehen aus den verschiedensten Gründen im sozialen Abseits. Jetzt werden die Kinder in der Schule auch noch in dieses Abseits gestellt. Sie kriegen das sehr schnell mit: ,Ich bin so ungefähr der letzte Rest' “ Für die Gewerkschaft, so Huyoff, sei es sehr schwer, die ideologischen Vorstellungen der Regierungspartei über das geeignetste Schulsystem zu beeinflussen. Dafür gibt es nur die Möglichkeit der Anhörung, die die GEW auch nutz-

te. Aber alle sachlichen Argumente gegen das bisherige Schulsystem in Mecklenburg-Vorpommern wurden ignoriert. Die Gewerkschaft läßt in ihrem Bemühen aber nicht nach, propagiert in kommunalen Ausschüssen und Kreisausschüssen für Bildung und Kultur ihre Ideen. Daß sich der Einsatz lohnt, steht für Georg Huyoff fest: „Jedes Kind lernt anders, das ist auch sozial geprägt. Auf Individualitäten einzugehen, funktioniert nicht, indem man verschiedene Schularten schafft. Ich gehe davon aus, daß jeder bildungs- und entwicklungsfähig ist.“

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