Offene Fragen zum 11. September bleiben

Brisanter Untersuchungsbericht unter Verschluss / Regierung will bei offiziell deklarierter Version bleiben

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Regierung der USA versucht mit allen Mitteln, die Veröffentlichung eines amtlichen Untersuchungsberichts über offene Fragen zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 zu verhindern.
Geht es nach dem Willen der Bush-Regierung, dann wird die »Nationale Kommission zur Untersuchung der Terrorangriffe auf die Vereinigten Staaten« nichts untersuchen, sondern Tränen vergießen, den Präsidenten loben und die offiziell deklarierte Version über »911« verbreiten. Diese seit langem geäußerte Vermutung erfuhr jetzt neuen Auftrieb. Das Nachrichtenmagazin »Newsweek« fragt unter dem Titel »Die Geheimnisse des 11. Septembers«, weshalb das Weiße Haus die Veröffentlichung eines mehr als 800 Seiten umfassenden Untersuchungsberichts des gemeinsamen Ausschusses des Senats und des Repräsentantenhauses zu verhindern versucht. Das Dokument war Anfang Dezember 2002 fertig gestellt worden und einer Arbeitsgruppe der Bush-Regierung zur Überprüfung übergeben worden. Eine knappe Inhaltsangabe des Berichts wurde veröffentlicht, Details der Untersuchungen sollten Ende dieses Monats verbreitet werden. Doch jetzt weigern sich Geheimdienstbeamte aus dem engsten Umfeld der Bush-Regierung, die bereits preisgegebenen Zusammenhänge zu kommentieren, geschweige denn das Siegel »top-secret«, mit dem die Akten versehen sind, zu entfernen. Zwei Kongressmitglieder, denen der Inhalt des Berichts bekannt ist, werden in dieser Angelegenheit demnächst einen Beschwerdebrief an Vizepräsident Richard Cheney veröffentlichen. Der demokratische Senator Bob Graham sagte gegenüber »Newsweek«, er sei »zunehmend frustriert« über die Obstruktionspolitik der Bush-Administration. Seiner Ansicht nach erfolgt die Geheimnistuerei dabei nicht aufgrund der Sorge um die »nationale Sicherheit«, sondern wegen der »politischen Peinlichkeiten«, die der Bericht nach sich ziehen könnte. Graham sagte dem Magazin, es handle sich um eine »Deckel-drüber-Politik«. Auch der ehemalige CIA-Angestellte und heutige republikanische Repräsentantenhausabgeordnete Porter Goss, der Cheney nahe steht, ist wütend. Führende Geheimdienstleute hätten in der Öffentlichkeit Aussagen über den 11. September gemacht, die sie heute aus dem Bericht streichen wollen, sagte er. Der Untersuchungsbericht war nach zehn Monaten Durchsicht Tausender von Geheimakten von CIA, FBI und der National Security Agency sowie auf Grundlage von Interviews mit Geheimdienstlern erstellt worden. Doch die »Arbeitsgruppe« der Regierung, die von CIA-Direktor George Tenet angeführt wird, schwärzte wichtige Passagen. Einige Abschnitte, die bereits veröffentlicht waren, wurden erneut »top-secret« erklärt, etwa das berüchtigte »Phoenix-Memorandum«, in dem das FBI zwei Monate vor den Terroranschlägen in New York und Washington die Regierung darauf hingewiesen hatte, dass arabische Staatsangehörige in USA-Flugschulen Unterricht nehmen wollten. Die Regierung verfügte laut Bericht über weitere Informationen, die entweder fallen gelassen oder ignoriert worden waren. Im Juli 2001 hatte es zum Beispiel in einem Lagebericht an die Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice geheißen, Osama bin Laden plane einen Angriff innerhalb der USA »innerhalb der nächsten Wochen«. Dass die USA-Geheimdienste sehr viel mehr wussten als bislang zugegeben, unterstreicht laut »Newsweek« folgende Passage: »Der Angriff wird spektakulär sein, soll sich gegen USA-Einrichtungen oder -Interessen richten und massenhaft Opfer fordern. Angriffsvorbereitungen sind getroffen worden. Der Angriff wird kommen mit nur kurzer oder gar keiner Vorwarnung.« An anderer Stelle heißt es, Rice sei vom Geheimdienst darüber informiert worden, dass Al Qaida Flugzeugentführungen innerhalb der USA geplant hatte. Doch damit nicht genug. Hunderte offene Fragen sind von der USA-Regierung nicht beantwortet worden. Sie reichen von ungewöhnlichen Bewegungen am Aktienmarkt um den 11. September 2001 über Geschäftsbeziehungen der Bush-Familie zum Bin-Laden-Clan bis zum Inhalt der Flugschreiber der entführten Maschinen. Eine erste Anhörung am 31. März und 1. April von Zeugen und Angehörigen der Opfer des 11. September vor der »Nationalen Kommission«, bei der wichtige Fragen aufgeworfen wurden, ging im Medienrummel um den Irak-Krieg unter. Dass der Untersuchungsbericht unter der Decke gehalten werden soll, ist vor dem Hintergrund der Präsidentschaftswahlen im Herbst 2004 zu verstehen. Amtsinhaber und Kandidat Bush will sich nicht nur mit lupenreiner Weste präsentieren, sondern darüber hinaus mit den Ereignissen am 11. September Wahlkampfstimmen einfangen. Aus diesem Grund ist der geplante Republikaner-Parteitag auf die erste Septemberwoche 2004 nach New York verschoben worden.
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.