Die IAAF und das Doping-Problem / In den USA werden die Fälle verschleiert

Die WM in Edmonton bot auch ein Muster der Hilflosigkeit des Weltverbandes

Die Reaktionen in Edmonton waren mehr als deutlich. »Für mich ist Olga nicht die Weltmeisterin«, sagte die Rumänin Gabriela Szabo nach dem WM-Finale über 5000 m. Die 1500-m-Weltmeisterin von Edmonton, die in diesem Endlauf als Titelverteidigerin nur Achte geworden war, hatte die Diskussion um die vor der WM zunächst positiv auf das Blutdopingmittel Erythropoeitin (EPO) getestete Russin Olga Jegorowa mit ihrer Boykott-Drohung angeheizt. »Ich trete nicht gegen eine gedopte Läuferin an.« Sie tats doch - und scheiterte.

Der erste EPO-Fall in der Leichtathletik

Mit Jegorowa wurde zum ersten Mal ein Aktiver aus der Leichtathletik positiv auf EPO getestet. Der zweite Fall wurde vorgestern öffentlich mit dem 36-jährigen italienischen Marathonläufer Roberto Barbi, der am 30. Juni bei einer von der IAAF unangekündigten Blut- und Urinkontrolle als Doper ertappt wurde. Im »Fall Jegorowa« hob die IAAF die Suspendierung wegen eines Formfehlers bei der Analyse im Pariser Labor wieder auf, setzte damit die positive A-Probe vom 6. Juli außer Kraft und erteilte ihr das WM-Startrecht. Ein nicht unumstrittener Vorgang, der auch nicht gerade von Konsequenz des Weltverbandes zeugt.
Die IAAF hat bei der WM erstmals 50 Trainingskontrollen auf EPO durchgeführt. Davon hatten neben Jegorowa weitere zehn Blutproben Auffälligkeiten aufgezeigt, die die IAAF ebenfalls zur Durchführung von Urin-Analysen - sozusagen als Gegenprobe zur Blutprobe - im Labor von Lausanne veranlasst haben und die negativ ausfielen.
Jegorowa, in Edmonton mit 15:03,39 min Schnellste im 5000-m-Finale, beteuerte hingegen immer wieder: »Ich bin unschuldig, die positive Probe ist ein Fehler.« Und die 29-Jährige verwies darauf, dass sie zuletzt alle zwei, drei Monate überprüft worden sei - stets negativ. Ihre sprunghaften Verbesserungen innerhalb eines Jahres über 5000 m um 70 Sekunden, was Anlass zu Doping-Spekulationen gab, erklärte sie so: »Ich habe mein Training umgestellt und in der Höhe trainiert.«

Skandal um die neue IAAF-Kommission

Der Doping-Fall Jegorowa offenbart genau besehen auch einen Skandal des neuen IAAF-Gremiums. Die Entscheidung der IAAF, die neue Überprüfungskommission - Review Board genannt - für die Anrufung des Internationalen Sportgerichtshofs (CAS) bei Doping-Streitfällen nur mit Council-Mitgliedern zu besetzen, stieß allgemein auf herbe Kritik. Beim IAAF-Kongress kurz vor WM-Beginn hatte der DLV die Abschaffung des umstrittenen Arbitration Panel und die Anerkennung des CAS als alleinige Rechtsinstanz durchgesetzt. Zusätzlich war beschlossen worden, dass das Review Board unabhängig vom Council sein soll. Stattdessen gehören diesem Gremium aber IAAF-Präsident Lamine Diack, Jose Maria Odriozola (Spanien) und - was mit besonderer Verärgerung aufgenommen wurde - Robert Hersh (USA) an. Mit Hersh rückte in dieses Gremium ein Vertreter eines Systems, das nachweisbar auf die Verschleierung von Doping-Fällen ausgerichtet ist.
Als ziemlich »empörend« wurde mit der Berufung von Hersh auch aufgenommen, dass damit der Schwede Arne Ljungqvist - als Vorsitzender der Medizinischen Kommission der IAAF zuständig für den Anti-Doping-Kampf - ausgebootet wurde! Auch das wirft ein bezeichnendes Licht auf den Anti-Doping-Kampf hinter den Kulissen.
Längst ist bewiesen: Der amerikanische Leichtathletik-Verband USATF ist nicht zur aktiven Aufklärung von Doping-Fällen in seinen eigenen Reihen bereit. Nicht einen Fußbreit gibt er nach, um die Hintergründe um die 17 bisher verschwiegenen Doping-Fälle zu lüften. Es ist ausgerechnet jener Verband, der zu Beginn der 90er Jahre mit zu den Eifrigsten gehörte, die nicht müde wurden, mit dem Finger auf den DDR-Sport zu zeigen und lautstark Sanktionen gegen die erfolgreichen Olympioniken aus der DDR forderten.
Auch dem Drängen der IAAF im Vorfeld der WM gaben die Amerikaner nicht nach. Bei einem Treffen mit der IAAF legte USATF zwar eine Liste von 24 Fällen aus dem Zeitraum vom 28. Mai 1999 bis 9. November 2000 vor, nannte dabei aber nur elf Namen von zumeist unbekannten Junioren-Sportler. Die übrigen Namen werden wie »top secret« behandelt.

USATF beruft sich auf Verschwiegenheitspflicht

Dem Vernehmen nach soll es sich in einem Fall sogar um einen Top-Athleten handeln, der trotz einer positiven Kontrolle auf Nandrolon an den Olympischen Spielen in Sydney teilgenommen und dort auch eine Medaille gewonnen hat. Der amerikanische Verband, der zuvor das Nationale Olympische Komitee (USOC) konsultiert hatte, beruft sich bei seiner selbstherrlichen Vorgehensweise auf eine diffuse »Verschwiegenheitspflicht«.
Der IAAF-Doping-Aufklärer Ljungqvist sah es unter diesen Umständen schon als einen »gewissen Fortschritt« an, wie er erklärte, dass beim Treffen mit USATF »wenigstens 14 der 17 Fälle diskutiert wurden«, die von der so genannten »McLaren«-Kommission geprüft werden. Doch zu weitergehenden Details über die drei noch ausstehenden und viel brisanteren Fälle schwieg USATF.
Selbst der neue IOC-Präsident Jacques Rogge (Belgien), der viel konsequenter als sein Vorgänger Samaranch dem Betrug durch Doping zu Leibe rücken will, wurde abgeschmettert. Bei seinem »Höflichkeitsbesuch« am USOC-Sitz in Colorado Springs zeigten ihm die Amerikaner die kalte Schulter, als er Aufklärung über den anonymen Sydney-Starter verlangte. USATF-Chef Craig Masback verstrickte sich in Widersprüche, als er gegenüber dem IOC-Chef den »Persönlichkeitsschutz der Athleten« zu erklären versuchte.

Der »McLaren«-Report zerstört eine US-Legende

Der 102 Seiten lange »McLaren«-Report einer unabhängigen kanadischen Untersuchungskommission, erstellt unter Leitung des kanadischen Jura-Professors Richard McLaren, der auch am Sportgerichtshof CAS in Lausanne sitzt, und fußend auf intensive Ermittlungen des US-Anwalts Robert Bennett, zerstört endgültig die Legende vom »sauberen US-Sport«. In dem Report werden dem USATF auch Versäumnisse bei den Doping-Trainingskontrollen vor den Spielen in Sydney vorgehalten. Der Report weist aus, dass 68 Prozent der weiblichen und 75 Prozent der männlichen Sydney-Teilnehmer zwischen Januar und September 2000 Trainingstests absolviert haben.
Auf der anderen Seite entzogen sich die Olympia-Athleten häufiger dieser Pflicht. So erschienen in dem vorgenannten Zeitraum von 29,7 Prozent der männlichen US-Leichtathleten, die zu einer Kontrolle aufgefordert wurden, nur 18,8 Prozent zum Test; bei den Frauen war es ein Verhältnis von 37,3 zu 15,7 Prozent. 1999 wurden nur drei Leichtathleten mehr als einmal einer Trainingskontrolle unterzogen. Im Zeitraum von Januar 1998 bis September 2000 seien lediglich 25,4 Prozent der Versuche des USATF, seine Athleten zu testen, erfolglos gewesen.
Dr. Wade Exum, im USOC jahrelang zuständig für Dopingfragen, hatte schon vor längerer Zeit in »USA Today« beklagt, dass Funktionäre im US-Sport »routinemäßig positive Fälle« unterdrücken. An der Mitwisserschaft und Verschleierung hat sich bis heute nichts geändert. Besonders das IOC wird mit dem Blick auf die Winterspiele in Salt Lake City 2002 in dieser heiklen Mission handeln müssen. Dass die Winter-Organisatoren von Salt Lake City jetzt den US-Kongress um eine Million Dollar für Trainingstests vor den Spielen bitten wollen, ist kaum mehr als eine Beschwichtigungsgeste.

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