Beleidigung kann Arbeitsplatz kosten

  • GERD SIEBERT
  • Lesedauer: 3 Min.
Ungerechte Behandlung im Betrieb kann schon mal die Emotionen hoch gehen lassen. Was sich dann Arbeitnehmer untereinander an den Kopf werfen oder gegen den Arbeitgeber bzw. Vorgesetzte äußern, kann sie den Arbeitsplatz kosten. Die Arbeitsgerichte sanktionieren solche Reaktionen von Arbeitgebern und Vorgesetzten. Allerdings ist längst nicht jeder Missgriff in der Wortwahl ein Entlassungsgrund. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem Urteil so etwas wie einen Leitfaden für den Umgang mit emotionalen Entgleisungen am Arbeitsplatz entwickelt. Demnach können grobe Beleidigungen oder bewusst wahrheitswidrige Behauptungen über den Arbeitgeber oder andere Mitarbeiter ausreichender Grund selbst für eine fristlose Kündigung sein. Der Arbeitgeber muss laut BAG nicht hinnehmen, dass durch solche Attacken z. B. die Stellung eines Vorgesetzten untergraben wird. Schon eine einmalige Ehrverletzung soll ausreichen können, eine Kündigung zu rechtfertigen (Urteil vom 10. Oktober 2002, Az. 2 AZR 418/01). Eine Beleidigung muss grob und eine Behauptung bewusst unwahr und schwerwiegend sein, um die Kündigung ohne vorherige Abmahnung aussprechen zu können. Was darunter zu verstehen ist, kann den Erfahrungswerten des Einzelnen überlassen bleiben. Eine früher schon ausgesprochene Abmahnung in ähnlicher Angelegenheit kann herangezogen werden, selbst wenn sie Jahre zurückliegt. Bemerkenswert ist eine Differenzierung des BAG, das unternehmensöffentliche Kritik am Arbeitgeber und an betrieblichen Verhältnissen, auch wenn sie polemisch und überspitzt ist, für zulässig ansieht. Diese höchstrichterliche Feststellung ist darum wichtig, weil sonst die betriebsverfassungsrechtlich vorgeschriebene Betriebsversammlung gemäß §§ 42 bis 46 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) eines wesentlichen Inhalts beraubt würde. Diese ist der Ort, an dem Beschäftigte des Betriebs nicht nur Informationen des Arbeitgebers und des Betriebsrats entgegennehmen, sondern auch Missstände kritisch zur Sprache bringen sollen. Werden beleidigende Äußerungen unter Arbeitskollegen im vertraulichen Gespräch gemacht, so ist nach BAG- Ansicht eine Kündigung »unter Umständen« nicht gerechtfertigt, weil der Arbeitnehmer in der Regel darauf vertrauen dürfe, dass derartige Äußerungen nicht nach außen getragen werden. Im Allgemeinen sollte in Angelegenheiten von Ungerechtigkeiten und Spannungen zwischen Arbeitnehmer und Vorgesetzen sowie untereinander der Betriebsrat helfen können. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) enthält mit den §§ 84 und 85 dafür eigene Rechtsbestimmungen. Danach hat jeder Arbeitnehmer das Recht, sich bei den »zuständigen Stellen des Betriebs« über Benachteiligung, ungerechte Behandlung oder sonstige Beeinträchtigung zu beschweren. Der Arbeitgeber hat der Beschwerde nachzugehen und - wenn er sie für berechtigt hält - die Ursachen abzustellen. Ein zweiter Weg geht über den Betriebsrat, der Beschwerden entgegenzunehmen, sie zu prüfen und beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken hat. Der Betriebsrat kann, wenn darüber Meinungsverschiedenheiten mit dem Arbeitgeber bestehen, die Einigungsstelle anrufen, die verbindlich darüber entscheidet, ob die Beschwerde berechtigt ist und welche Maßnahmen zu treffen sind.

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