- Kultur
- Premiere in Bombay: Fritz Bennewitz inszenierte „Faust“ erstmals in Indien
Erzengel Raphael sprach beim Prolog im Himmel Hindi
„Die Sonne tönt nach alter Weise, in Brudersphären Wettgesang, und ihre vorgeschriebne Reise vollendet sie mit Donnergang“ Erzengel Raphael sprach Hindi, als er im TATA-Theater in Bombay den Prolog im Himmel eröffnete. Zum ersten Mal in der Theatergeschichte gab es eine „Faust“-Premiere in Indien. Sie stellt gleichzeitig die Erstaufführung des Goetheschen Hauptwerkes für den gesamten asiatischen Raum dar.
Dieses theatralische Ereignis ist vor allem Prof. Fritz Bennewitz aus Weimar zu danken. Dem „Faust“ in Bombay liegen nicht nur die Erfahrungen seiner berühmt gewordenen „Fausf'-Inszenierungen von Weimar und New York, sondern auch Erlebnisse und Erfahrungen aus über 20 Jahren Inszenierungspraxis in Indien, den Philippinen, Bangladesh, den USA und anderen Ländern zugrunde. Sein Experiment, bedeutende
Stücke, vor allem Brechts und Shakespeares, durch Adaption in anderen Kulturkreisen erlebbar zu machen, gelang und fand internationale Anerkennung. Die Verleihung des Akademiepreises für darstellende Künste aus der Hand des indischen Präsidenten wurde 1993 Ausdruck höchster Wertschätzung seiner langjährigen Arbeit auf dem Subkontinent.
Wie schon Ende der 70er Jahre auf der Experimentierbühne des „La MAMA“-Theaters in New York widerlegt er in Bombay erneut das dem „Faust“ anhaftende Vorurteil, es sei das „deutscheste aller deutschen Stücke“ und daher in fremden Kulturkreisen unspielbar. Bennewitz bringt Goethes Weltdrama auf die Bühne des indischen Theaters, nicht das Weltgedicht. Die Schlußproben in Bombay zeigten, daß es gelungen ist, Fausts forschendes Streben, sein Hoffen, seine Verfehlun-
gen, seine Zweifel und sein Suchen als Erfahrungen der Menschheit darzustellen.
Bislang existierte keine Hindi-Übersetzung von „Faust“ Atul Tiwari und Ramesh Rajhans schufen sie für diese Inszenierung. Sie wurde während der Proben überarbeitet, sprachlich präzisiert. Bennewitz' Hindi-Kenntnisse, seine Inszenierungserfahrungen in dieser Sprache sowie seine allumfassende Kenntnis des Goetheschen Originaltextes ermöglichten es ihm, die Spielfassung für Bombay im Sinne des Originals und dennoch unter den Anforderungen einer Adaption zu formen.
Bei den Proben in Bombay war zu erleben, welcher schöpferische Prozeß hier in Gang gesetzt wurde. Der Regisseur verfolgte jedes Hindi-Wort, er spürte, ob es in Verbindung mit der Gestik des Schauspielers im Sinne des Originals zutreffend ist oder
erneut, unter Berücksichtigung auch von Vorschlägen aus dem Ensemble, verändert werden mußte. Die Schauspieler bewunderten diese phänomenale Sprach- und Gedächtnisleistung. Seine Überzeugungskraft bei der Erläuterung der Rollen und Szenen, seine ungeheure körperliche Dynamik und Präzision beim Vorspielen, seine Unerbittlichkeit bei der Forderung, in jedem Monolog und jedem Dialog, bei jeder Geste und jedem Gang genau den künstlerischen Punkt zu treffen, sind hinreißend.
Die Protagonisten der Aufführung sind zwei der berühmtesten indischen Schauspieler, Pankaj Kapoor (Faust) und Naseeruddin Shah (Mephisto). Beide sind landesweit durch Film-und Fernsehproduktionen bekannt und beliebt. Als Zuschauer könnte man meinen, Goethe habe die Rollen diesen beiden Schau-
spielern auf den Leib geschrieben. Elf weitere Darsteller agieren, ähnlich wie in Bennewitz' letzter Weimarer „Faust“-Inszenierung, jeweils in mehreren Rollen. Der Weimarer Bühnenbildner Kristian Panzer entwarf als Spielfläche miteinander korrespondierende, horizontale, vertikale und schräge Flächen, die zusammen mit Durchbrüchen, Rampen, Podesten und hochstrebenden Leitern eine Welt voller Widersprüche assoziieren. In der Gesamtheit wirkt es wie eine Einheit von Zusammenbruch und Aufbruch, wie Urmaterial für erst noch zu schaffende Spielräume. Sobald jedoch das Spiel beginnt, assoziieren sich in der Konstruktion jeweils Studierstube, Garten, Hexenküche, Kathedrale und die weiteren Schauplätze des Stücks. Der Zauber von Licht, Musik, Geräuschen unterstützt die Botschaften des Weltdramas. Die Schauspieler
haben dieses Bühnenbild sofort angenommen, es ist ihnen auf besondere Weise vertraut. Gibt es ihnen doch auch die Möglichkeit, die spezifische Verbundenheit der Inder zur Erde, zum Boden, wie selbstverständlich ins Spiel einzubeziehen.
Die „Fausf'-Inszenierung in Bombay wäre ohne den Enthusiasmus Vijaya Mehtas, der Direktorin des Nationalen Zentrums für die Darstellenden Künste Bombay, nicht denkbar gewesen. Während ihrer langjährigen künstlerischen Zusammenarbeit mit Fritz Bennewitz bei Theaterprojekten u. a. in Delhi, Kalkutta, Weimar, Berlin, Leipzig ist gegenseitiges Vertrauen gewachsen. Unterstützung vom Goethe Institut kam in Form der Flugtickets für Regisseur und Bühnenbildner.
Theater als Bindeglied zwischen den Kulturen - Faust kam nach Bombay
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