Geniekult um einen Autohändler

Tech-Milliardäre wie Elon Musk profitieren vom Kult um ihren Innovationsgeist, dabei sind sie nur Profiteure eines unkritischen Fortschrittsglaubens

  • Lisa Bor
  • Lesedauer: 6 Min.
Bei »Star Trek« fungiert Technik als Vehikel zum Fortschritt der Menschheit. Bei Musk als Ausdruck von Egozentrismus
Bei »Star Trek« fungiert Technik als Vehikel zum Fortschritt der Menschheit. Bei Musk als Ausdruck von Egozentrismus

Angesichts der Allianz zwischen Big-Tech, Medienmonopolen und der rechten Regierung der USA sehen viele die Demokratie in Gefahr. Dabei kommt dieser Zusammenschluss nicht von ungefähr. Als rebellische Nerds charakterisiert, mögen die Vertreter des Silikon Valley früher etwas drolliger gewirkt haben, aber etwas Undemokratisches enthielten ihre Vorhaben schon immer.

Sie profitieren davon, dass Technikentwicklung medial meist hingenommen, bewundert oder gefürchtet wird. Politische Fragen zur Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur, die das Internet bedeutet, wurden spätestens seit den 2000ern zu selten gestellt.

In einer Folge der Serie »Star Trek Discovery«, die 2017 erschien und die im frühen 23. Jahrhundert spielt, steht die Besatzung des Raumschiffes vor einem technischen Problem mit dem Antrieb. Der zuständige Ingenieur droht zu verzweifeln. Um ihn zu motivieren, hält sein Vorgesetzter eine kleine Ansprache: »Wie soll man sich an Sie erinnern?«, fragt der Kapitän. »In einer Reihe mit den Gebrüdern Wright, Elon Musk, Zefram Cochrane? Oder als irgendein gescheiterter Wissenschaftler?«

Von den Drehbuchschreibern wird Musk also hochachtungsvoll zwischen die Gebrüder Wright und dem Erfinder des Warpantriebs platziert, das heißt: Ihm wird der entscheidende technologische Meilenstein zwischen den Anfängen der Flugzeugtechnik auf dem Planeten Erde um 1903 und der interstellaren Raumfahrt seit 2061 zugeschrieben. Fortsetzung folgt.

Dieser kleine Auftritt ist nur eine von vielen medialen Darstellungen, die Musk als Visionär und Vordenker einordnen. Bevor im Wahlkampf der AfD seine politisch rechte Haltung auch in Deutschland offensichtlich wurde, überwog medial die Bewunderung für die technologischen Entwicklungen, die er finanziert hat. Als würden schnelle Autos und Raketen der Menschheit Fortschritt bringen. Gern wird er als Genie geadelt, eine ZDF-Doku beschreibt seinen Werdegang mit genau diesem Titel. Dabei hätte er besser als Gewerkschaftsfeind, Multimilliardär, Gegner von Klimaktivismus, queerfeindlicher Netzaktivist, Unterstützer Trumps, Betreiber und Besitzer einer umstrittenen Raketenbasis oder Autohändler bezeichnet werden können. Genial ist all das nicht. Aber Musk profitiert vom Bild des genialen Tech-Visionärs. Das ist alt und wurde von der New Economy neu aufgelegt.

Wie wirkmächtig dieses Bild ist, zeigt Musks Koketterie mit dem Nerd-Image. Ein bisschen Darkmode, Comics und Star Trek, dann wissen alle, wo er sich einordnen will. Es hat etwas mit dieser Vorstellung vom Nerd als schlauem Außenseiter zu tun, dass die Privatisierung der digitalen Infrastruktur durch die großen Konzerne der New Economy selten Gegenwind bekam. Und damit auch etwas mit der Art, wie Medien über Technikentwicklung berichteten.

Diese Unverdächtigkeit der Branche kommt aus ihrer Gründerzeit. Die neue ökonomische Elite wird seit der Kommerzialisierung des Internets als rebellischer Counterpart zur konservativen Old Economy aufgebaut, die deren Werte ablehnt: »Governments of the Industrial World, you weary giants of flesh and steel, I come from Cyberspace, the new home of Mind. On behalf of the future, I ask you of the past to leave us alone. You are not welcome among us. You have no sovereignty where we gather«, formulierte John Perry Barlow 1996, einer der Gründer der Electronic Frontier Foundation, in einer »Declaration of the Independence of Cyberspace«, die er am Rande des Wirtschaftsforums in Davos vorlegte. In das Cyberspace sollten alle eintreten können, ohne Vorbehalte.

Dieses Narrativ hielt sich lange. Es formulierte ein sympathisches Image für Verfechter der Marktfreiheit. Zu beobachten ist das am »Wired«-Magazin. 1993 gegründet, ist »Wired« eine Art Lifestylemagazin, vergleichbar mit »Vogue« oder »Rolling Stone«. »Sprachrohr der New Economy, das Medium der Computer-Geeks und Tech-Freaks und das Sammelbecken für all jene, die im Silicon Valley einen Namen haben oder gerade dabei sind, sich einen zu machen«, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Alessandra Biagioni. Biagioni hat Texte und Bilder aller Ausgaben aus zehn Jahren untersucht, von 1995 bis 2005. Sie hält fest, dass nach einem Redaktionswechsel die kommerziellen Themen der Tech-Szene nach dem Platzen der Dotcom-Blase überwogen, während explizit politische Diskussionen verschwanden. Stattdessen werden Jeff Bezos und Co. als Tech-Entrepreneure porträtiert und als verwuschelte, verspielte und alltagsunfähige Wunderkinder dargestellt. Ihre Gimmicks sind Spielzeug, Videokonsolen, Synthesizer, Süßigkeiten, Tretroller.

Diese Art der Inszenierung entpolitisiert und macht die Unternehmer zu jugendlichen Genies. Die soziale Herkunft (reich) und Position (weiß, männlich, keine Care-Aufgaben) der Unternehmer wird nicht hinterfragt. Ihre politische Lobby für möglichst große Marktfreiheit mit liberalen Werten genutzt. Technikwissen meets Money. »Die früher stigmatisierten Geeks wurden zu coolen Gewinnertypen«, schreibt Biagioni.

Viele Medien tragen dieses Bild noch heute weiter. Geht es um Technologie, stehen entweder die Unternehmer als interessante Personen im Vordergrund. Oder es wird über Produkte berichtet, dann meist aus technischer oder wirtschaftlicher Sicht. So titelt die »Tagesschau« in der Rubrik Wissen über ein generatives Large-Language-Modell eines Start-ups aus China: »DeepSeek, der Schrecken der US-Tech-Giganten« und meldet auch den Wertabfall anderer Unternehmen auf dem Aktienmarkt. Jeweils werden wirtschaftliche Auswirkungen einer Produktentwicklung und auch Superlative in der Leistungsfähigkeit hervorgehoben.

Was daran nun undemokratisch ist: Die mediale Haltung gegenüber Technologieentwicklung ist meist passiv. Medien begegnen Neuheiten mit Begeisterung oder Furcht, sind passende Gegenüber zum »Genie und Wahnsinn«. Manchmal werden Datenrechtsfragen diskutiert, auch Hate-Speech in Social Media ist ein Thema. Erklärende Stücke über neue Anwendungen, wie künstliche Intelligenz, nehmen zu. Aber eine kollektive, demokratische Sicht auf Technologieentwicklung fehlt, sie bleibt den Unternehmen überlassen. Dabei gibt es kritische Forschung und mit dem Chaos Computerclub, Netzpolitik und Algorithwatch auch zivilgesellschaftliche Stimmen dazu. Und es gibt Beispiele für politische Diskussionen darum, wie Technik entwickelt und wie Nutzung und Zugang gestaltet werden sollen: Atomkraft, aber auch Schwangerschaftsprävention, die Corona-Warn-App, die Wärmepumpe.

Diese passive Haltung kommt nicht von ungefähr. Sie schließt an weitverbreitete gesellschaftliche Diskurse über Technik und Fortschritt an. In vielen Technikmuseen sind Varianten solcher Heldengeschichten über Erfinder und Entdecker noch heute zu finden. Hier könnten die Gebrüder Wright, Elon Musk, Zefram Cochrane – vielleicht auch der verzweifelte Raumschiff-Ingenieur aus der »Star Trek«-Folge – eine Reihe bilden. So vermitteln die Ausstellungen den Besuchenden neben technischen Kennzahlen der Objekte und biografischen Daten über ihre Schöpfer, nebenbei drei Selbstverständlichkeiten: Erstens, dass technischer Fortschritt sich vor allem in steigenden Leistungskennzahlen bemisst: mehr Pferdestärken, mehr Rechenleistung, schnellere Maschinen. Zweitens, dass dieser Fortschritt überwiegend wenigen, männlichen, genialen und tüchtigen Männern zu verdanken ist. Drittens, wird die Perspektive darauf, was als Technik und als Fortschritt gilt, beschränkt. So geht es meist um Mobilität und Produktion, nicht um Haushaltsgeräte oder queerfeministische Wissensproduktion zu Geschlecht. Im Umkehrschluss heißt das: Wer Technikentwicklung ermöglichen kann, muss ein Held sein.

Und die Economy-Allianz um Trump profitiert von alldem. Vom eingeschränkten Blick auf Technologie und wer sie gestalten kann, von dem Image der Unternehmer als geniale Außenseiter, denen am Ende der Erfolg recht geben wird und von der unhinterfragten Selbstverständlichkeit von Privatbesitz und Marktfreiheit im Kapitalismus.

Statt sich weiter auf Genie-Berichterstattung zu beschränken, könnten Medien diese Machtverhältnisse infrage stellen: Wann sind Medienmonopole groß genug, um sie zu enteignen? Welche Tools und Moderationen brauchen neue, kollektive Social-Media-Formate, um Radikalisierungen und Falschinformation zu erkennen? Oder: Wann kommt das in Autos eingebaute Tempolimit? Müssen die Karosserien – wie in manchen Teslas – ähnlich eines Panzers funktionieren? Und: Wann wurde eigentlich entschieden, dass das Weltall durch Multimilliardäre privatisiert werden soll? In »Star Trek« finden die Missionen im demokratischen Sinne im Auftrag der Menschheit statt.

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