Kardinalfragen des Faschismus

Dem Historiker Manfred Weißbecker zum 90.

  • Mario Keßler
  • Lesedauer: 4 Min.
Prof. Manfred Weißbecker bei einem Jenaer Montagstreff
Prof. Manfred Weißbecker bei einem Jenaer Montagstreff

Die Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er Jahre brachte das fragile Gebäude der Weimarer Republik zum Einsturz. Sie entsprang der Irrationalität der Klassengesellschaft, ihrem Waren- und Geldfetischismus wie der fehlenden gesellschaftlichen Kontrolle über die Produktion. In Deutschland spülte sie die wichtigste Bewegung, die der Republik den Garaus machen wollte, um zum zweiten Griff nach der Weltmacht anzusetzen, an die Oberfläche.

Die republiktreuen Kräfte, auch die Sozialdemokraten, verschlossen die Augen vor der Schrift an der Wand, vor der Losung »Deutschland erwache, Juda verrecke«. Hitler und seine Nazis würden kommen und wieder gehen. Die Konservativen und ihre Stützen, die Großindustrie und das Junkertum, sahen mit einigem Unbehagen auf den plebejischen Schmutz, der den wachsenden Massenanhang der Nationalsozialisten, wie sie sich nannten, ausmachte. Sie konnten aber ihre Befriedigung über das Auftauchen einer Bewegung kaum verbergen, die versprach, alle Organisationen der Arbeiterbewegung zu zerschlagen und die Ergebnisse des Weltkrieges zu revidieren. Die Kommunisten sahen in den Anhängern der SPD, den sogenannten »Sozialfaschisten«, den Feind, der zuerst zu schlagen sei, bevor man mit den Nazis aufräumen könne.

Es sind diese Kardinalfragen und ihre weltgeschichtlichen Folgen, die die Forschungsarbeit des Jenaer Historikers Manfred Weißbecker prägten und prägen. Über die Umbrüche der Jahre 1989 und 1990 fällt eine bemerkenswerte Kontinuität des Denkens und Schreibens ins Auge.

In fast zwanzig Büchern und mehreren hundert Aufsätzen hat sich Manfred Weißbecker seit 1962 der Geschichte der Weimarer Republik und besonders ihres Scheiterns, den Gründen des Erfolgs der NSDAP, ihrem »Führer«, seinen Anhängerscharen und der Klassenbasis des deutschen Faschismus zugewandt. Von höchster Aktualität sind angesichts des Aufstiegs der AfD gerade in Thüringen seine regionalhistorischen Untersuchungen zum ersten »Musterland« des Faschismus mit der Regierungsbeteiligung der Hitler-Partei schon 1930.

Dabei geht es Manfred Weißbecker um sozial- wie mentalitätsgeschichtliche Fragen, stets aber auch um die unheilvolle Wirkung faschistischer Akteure. Von all dem zeugen die auch international stark beachtete, zusammen mit seinem Freund und Berliner Mitstreiter Kurt Pätzold (1930–2016) geschriebene Geschichte der NSDAP sowie die wieder von beiden verfassten Biografien über Hitler und Rudolf Hess wie auch eigene Detailstudien zu Fritz Sauckel, dem faschistischer Reichsstatthalter in Thüringen und Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, der verantwortlich für den Tod Abertausender Zwangsarbeiter war.

Weißbeckers Arbeiten sind jedem deterministischen Verständnis von Geschichte abhold, durchleuchten das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen Führern und Geführten und zeigen, wie er schrieb, »dass die autoritär-faschistische Herrschaftsform mit ihrer extremen Zentralisierung der Macht, mit der terroristischen Disziplinierung der Massen, mit dem ›Führer-Kult‹ und der Volksgemeinschaftsdemagogie einen anderen, massenwirksameren und zugleich autoritäreren Führertyp verlangt als die bürgerlich-parlamentarische Herrschaftsform«; einen Führertypus, der die imperialistische Politik nach innen wie nach außen durchexerziert und doch weit mehr ist als ein bloßes Instrument des Großkapitals.

Solchen Erkenntnissen suchte Manfred Weißbecker schon vor 1989 in Forschung und Lehre Geltung zu verschaffen. Seine unmittelbare Reaktion auf die Beseitigung der DDR durch die aufbegehrenden Volksmassen waren seine »Gedanken zum Antifaschismus-Verlust«. Der Antifaschismus in der DDR war janusköpfig: Er war humanistischer Auftrag und zugleich die Bemäntelung autoritärer, freiheitsfeindlicher Herrschaftspraxis – am Ende nur noch eine »Verschiebung«, so Weißbecker, hin zur Letzteren. Dies erleichterte dann jenen das Geschäft, die mit dem legitimatorischen auch den legitimen Antifaschismus beseitigen wollten. Sie waren auch unter den »Abwicklern« der Ost-Hochschulen zu finden.

Der Professor verlor 1992 seine Arbeit an der Universität. Dies hielt ihn vom Weiterarbeiten keineswegs ab. Als Vorsitzender der Thüringer Rosa-Luxemburg-Stiftung und als Organisator zahlreicher Symposien auch zur Jenaer Universitätsgeschichte war und blieb er ungebrochen aktiv. Zudem wissen Leser und Leserinnen dieser Zeitung seine profunden Beiträge zur Zeitgeschichte zu schätzen. Nun wird er, folgt man dem Kalender, am 8. Februar neunzig. Ernsthaft, Manfred? Es fällt schwer, dies zu glauben. Aber wenn dem so ist: Herzlichen Glückwunsch, ad multos annos!

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