Der Mord an Lumumba und die »Botschafter des Jazz«

Der Filmessay »Soundtrack to a Coup d’Etat« von Johan Grimponez durchbricht alle Genre-Grenzen

Wurde 1961 vom Neokolonialismus ermordet: der kongolesische Revolutionsführer Patrice Lumumba.
Wurde 1961 vom Neokolonialismus ermordet: der kongolesische Revolutionsführer Patrice Lumumba.

Dass der Essayfilm mit seiner Verbindung aus Montagetechnik und extremer Subjektivität Zusammenhänge aufzeigen kann, die für gewöhnlich im Verborgenen bleiben, ist keine neue Erkenntnis. Zu den interessantesten soziologischen Texten über die Weimarer Republik gehört Walter Ruttmanns Film »Sinfonie einer Großstadt« (1927). Und ganz ähnlich könnte man wohl auch über Raoul Pecks Essayfilm »I Am Not Your Negro« (2016) sagen, dass wenige politikwissenschaftliche Analysen die rassistische Gewalt in den USA so scharf zu fassen bekommen wie das (auf einem Aufsatz James Baldwins beruhende) Werk des haitianischen Filmemachers.

Der Essayfilm »Soundtrack to a Coup d’Etat« muss den Vergleich mit solchen Arbeiten nicht fürchten. Johan Grimpronez, ein 1962 in Belgien geborener Multimedia-Künstler, erzählt in ihm parallel zwei völlig unabhängige Geschichten aus dem Jahr 1960. Die erste handelt von schwarzen Jazz-Musiker*innen in den rassistisch segregierten USA, die zweite vom neokolonialen Ränkespiel im Kongo, der sich damals gerade von der belgischen Fremdherrschaft befreit hatte.

Dabei ist nicht zu übersehen, dass Grimponez ursprünglich aus der Medienkunst kommt und von konventioneller Erzählung wenig hält. 1997 war er mit »Dial H-I-S-T-O-R-Y«, einem Essay über Flugzeugentführungen und -katastrophen, zu Gast auf der Documenta, danach arbeitete er in erster Linie als Kurator und Installationskünstler. »Soundtrack to a Coup d’Etat« allerdings beruht auf einem eigentlich klassischen Dokumentarfilmstoff. Grimponez rekonstruiert das Komplott, das die ehemalige Kolonialmacht Belgien und die USA 1960 gegen den kongolesischen Revolutionsführer Patrice Lumumba organisierten. Der »freie Westen« fürchtete damals, dass Lumumba und der ghanaische Sozialist Kwame Nkrumah eine panafrikanische Einigungsbewegung in Gang setzen könnten, die den Zugriff auf die Bodenschätze des Kontinents erschweren würde. Wie mittlerweile bestens belegt ist, wurde Lumumba auf Betreiben Belgiens und der USA erst bekämpft, dann abgesetzt und schließlich ermordet.

»Soundtrack to a Coup d’Etat« zeichnet diese Ereignisse nach und beleuchtet dabei auch einige weniger bekannte Details – so etwa den Umstand, dass der damalige UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, ein der Sozialdemokratie nahestehender schwedischer Politiker, aktiv am Komplott gegen Lumumba beteiligt war. Bemerkenswerterweise wurde Hammarskjölds Kooperation allerdings nicht honoriert. Nur wenige Monate nach Lumumba starb Hammarskjöld selbst bei einem Flugzeugabsturz. Aus südafrikanischen Regierungsakten weiß man mittlerweile, dass der Absturz von westlichen Geheimdiensten, Bergbaukonzernen und einer südafrikanischen Paramilitärorganisation in die Wege geleitet wurde, weil Hammarskjöld als unzuverlässiger Mitwisser galt.

Das Bemerkenswerte an Grimponez’ Film ist, dass dieser politisch-dokumentarische Strang gewissermaßen en passant erzählt wird. Die eigentliche Kraft zieht der Film daraus, dass er die Schilderung der Ereignisse im Kongo immer wieder unterbricht. So seltsam es klingt: In erster Linie ist »Soundtrack to a Coup d’Etat« ein Musikfilm, der die Größen des Jazz Anfang der 60er Jahre auf Konzerte und Tourneen begleitet. Doch was hat der Jazz mit dem Kongo zu tun? Ganz einfach: Während die Musiker*innen Abbey Lincoln und Max Roach 1961 aus Protest gegen die Ermordung Lumumbas eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York stürmen, werden ihre Kolleg*innen Louis Armstrong, Nina Simone, Duke Ellington und Dizzy Gillespie (ohne ihr Wissen) vom CIA »als Jazz-Botschafter« auf Promo-Tour geschickt, um das ramponierte Image der rassistischen USA im globalen Süden aufzupolieren.

Grimponez will dabei auch die Aktualität der Ereignisse aufzeigen. Denn wie die Eroberung der Millionenstadt Goma durch die »Rebellen«-Truppe M23 vor wenigen Tagen gezeigt hat, dreht sich die Gewaltspirale in dem zentralafrikanischen Land bis heute weiter. Während es in den 60er Jahren vor allem um das bombenfähige kongolesische Uran ging, das die USA bereits für den Bau der Hiroshima-Bombe verwendet hatten und sich auch nach der Unabhängigkeit des Kongos weiter sichern wollten, sind es heutzutage vor allem die für die IT-Industrien notwendigen Mineralien und seltenen Erden, die den Krieg am Laufen halten.

Insofern lässt sich »Soundtrack to a Coup d’Etat« durchaus auch als Aufklärungsfilm über Weltmarkt und postkoloniale Herrschaft sehen. Doch zugleich ist Grimponez’ Essayfilm eben auch ein sehr unterhaltsames Jazz-Stück. Daniel Denvir, Macher des englischsprachigen Theorie-Podcasts »The Dig«, schrieb vor einigen Tagen: »Einer der besten Filme, die ich je gesehen habe.« Ein Urteil, dem nichts hinzuzufügen ist.

»Soundtrack to a Coup d'Etat«: Belgien, Frankreich, Niederlande 2024. Buch und Regie: Johan Grimonprez. 150 Minuten. Läuft im Kino.

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