Segen und Fluch auf Neubauernland
In Mecklenburg besaßen Großgrundbesitzer einst zwei Drittel des Bodens - wird es wieder so sein? Von ROSIBLASCHKE
Sie hatten den Bodenreform-Gedenkstein in Bredentin, Kreis Güstrow, vom Sockel gezerrt. Dr. Bernd von Maltzahn und andere Alteigentümer vom „Hilfsfonds für die Opfer der stalinistischen Bodenreform“ triumphierten. Sie glaubten, aus der deutschen Geschichte ein Stück herausgerissen und versenkt zu haben. Bauern aus dem Kreis Güstrow haben den Stein wieder aufgestellt.
Auf dem Denkmal steht -Credo der Bodenreform von 1945 im Osten Deutschlands -„Junkerland in Bauernhand“ und „übergeben von Landrat Bernhard Quandt und Landessuperintendent Sieghard Siegert“ Es war, als ob ein von Maltzahn auch den heute 91jährigen Bernhard Quandt treffen wollte. Ebender hat als Landrat von Güstrow am 27 September 1945 in Bredentin den Pflock in Bodenreformland eingeschlagen. Er ist Zeuge in dieser Sache.
Langsam, .ein bißchen mühevoll erzählt er. „Eigentlich sollte zuerst das Gut Schwiessel von Henning Graf von Bassewitz-Behr, SS-Obergruppenführer, Polizeipräsident von Hamburg, aufgeteilt werden. Doch Landessuperintendent Siegert fürchtete sich, mitzumachen, der Graf könnte eines Tages zurückkommen.“ Ein Mann der Kirche aber sollte dabeisein. Und so schlugen sie denn gemeinsam die Grenzpfähle für die Felder in der Staatsdomäne in Bredentin ein, ließen die Lose für die Parzellen ziehen. „Schon am Nachmittag begannen einige Neubauern mit der Bestellung ihres Ackers,“ erinnert sich Bernhard Quandt.
In Basedow, Kreis Malchin, dem Gut des Walter Graf von Hahn, fand die Bodenreform in der Kirche statt. „Bischof Dr. Tolzien hatte den Vorsitz der Bpdenreformkpmmission übernommen, und er sprach zil den Landarbeitern. Nach ihm hielt ich meine Rede. Dann haben wir gemeinsam die Lose für den Boden verteilt.“ Immer hat Quandt versucht, den Rat der Kirche zu beachten. Es gab den Menschen Zuversicht, wenn das Land, das sie nun bebauen sollten, gesegnet war.
Wie begründet Bernhardt Quandt, daß mit der Bodenreform altes Unrecht wiedergutgemacht wurde? „Vieles muß man bedenken. Zuallererst: 1939 hatte Mecklenburg 900 000 Einwohner. Nach dem Krieg waren es zweieinhalb Millionen. Jeden Tag kamen Transporte mit Flüchtlingen und Umsiedlern, die durch den Hitlerkrieg alles verloren hatten,“ sagt Bernhard Quandt. „Sie brauchten Brot, die Kinder
Milch. Viele wollten auch Land, um sich ein neues Hüsung zu bauen.“ Zugleich erinnert er daran, daß Mecklenburg-Vorpommern ein Landstrich mit rund 2 000 Großgrundbesitzerfamilien war. 62 Prozent des Bodens waren in ihren Händen. Viele stellten dem Hitlerstaat Generalfeldmarschälle, Generale, andere Offiziere oder waren verbunden mit dem Wirtschafts- und Finanzkapital, mit SA und SS.
Nein, nicht alle Großgrundbesitzer waren Naziaktivisten. Bernhard Quandt differenziert sehr genau. Da besuchte ihn vor anderthalb Jahren eine Nachfahrin derer von Flotow Ihr Urgroßvater war 1933 im Kreis Ribnitz-Damgarten von der SS erschossen worden, so berichtet Bernhard Quandt, weil er, Mitglied der NSDAP, Utopien über die Nationalisie-
rung von Großindustrie und Banken und Bildung einer Volksmiliz nachhing. Seine Frau floh mit ihren Kindern nach Kanada. Die Urenkelin lebt nun in Freiburg. Bernhard Quandt berichtete ihr über ihren Vorfahren.
Quandt sieht die Bodenreform als eine demokratische Massenbewegung. „Die Kommissionen wurden in freier und geheimer Abstimmung gewählt. Im übrigen haben die Länderregierung die entspre-
chenden Gesetze erlassen.“ In Mecklenburg unterzeichnete Präsident Wilhelm Höcker, 1918 bis 1933 SPD-Landrat, das Gesetz. Die Bauern bekamen das Land als Eigentum nicht verkaufbar, nicht verpachtbar, aber vererbbar
Bernhard Quandt beruft sich auch auf die Geschichte. „Die Gutsbesitzer haben den Bauern in Jahrhunderten ihr Land genommen. Im 17 Jahrhundert wurde in Mecklenburg die Zahl der ritterschaftlichen Bauern von 14 300 auf weniger als ein Zehntel geschrumpft.“ Er sucht weitere Beispiele aus seiner Materialsammlung: Nach dem Regulierungsedikt von 1811 hatten nicht spannfähige Bauern kein Recht auf Eigentum an Grund und Boden und Gebäuden. Die Gutsbesitzer schlugen also das Land der nicht Spannfähigen den Gütern zu und machten die Enteigneten zu Tagelöhnern.
Die Bauern mußten auch für ihre Hufen, Äcker oder Wiesen die Erbzinsberechtigung oder dergleichen „beibringen“ Josef Herzfeld, SPD-Abgeordneter im Wahlkreis Mecklenburg-
Schwerin seit 1898, schrieb dazu: Als der Bauer die Erbzinsberechtigung „erwarb, gab es kein Grundbuch und keine Kanzleien. Sein Besitztum war gerade der unvordenkliche Besitz, war seine und seiner Vorfahren Arbeit, und diese wur-
den ihm für wertlos erklärt. Der Bauer und sein Eigentum waren also... in der Gewalt des Gutsherrn.“ Daß den Landarbeitern, unterteilt in Deputatsarbeiter, Freiarbeiter und (zumeist polnische) Schnitter, noch bis 1945 nur nach Pfennigen zählender Stundenlohn für ihre schwere Arbeit gezahlt wurde, ist in Berichten alter Mecklenburger nachzulesen.
Von einem anderen Besuch soll noch die Rede sein, den Bernhard Quandt weit nach der Wende erhielt. „Franke, stellte sich der Mann vor. Ich wußte sofort, wer er war.“ Auch in der Staatsdomäne Römnitz und drei weiteren Gemeinden des Fürstentums Ratzeburg, das einst zu Mecklenburg gehörte, wurde 1945 die Bodenreform durchgeführt. Bauer Franke erhielt wie viele andere sieben Hektar Land und zwei Hektar Wald. Später fielen diese Dörfer durch Grenzbegradigung an Westdeutschland. Doch am 15. November 1949 hat die Landesregierung Schleswig-Holstein beschlossen: „Die Landesregierung erkennt an, daß den Siedlern das Eigentumsrecht an den auf ihren Namen im Grundbuch von Schönberg eingetragenen Parzellen der ehemaligen Staatsdomäne Römnitz zusteht.“ Bauer Franke hat die Urkunde noch und besuchte Bernhard Quandt als Zeuge in dieser Sache.
Ein weiteres Mal stoßen wir auf den Namen derer von Maltzahn. Die Treuhandtochter Bodenverwertungs- und -Verwaltungsgesellschaft (BWG) hat festgelegt: Falk Freiherr von Maltzahn, Bundesrichter in Karlsruhe, bekommt im Jahre 1995 etwa 300 Hektar Boden im Kreis Altentreptow zur Pacht. Das volkseigene und damit Treuhandland wird gegenwärtig von den jungen Landwirten Heike und Michael Frese sowie Adelheid, und Gerhard Radioff bewirtschaftet.
„Wir hätten mit 1 700 Hektar Gepachtetem doch genug Land, um etwas abzugeben, wird uns vorgeworfen“, sagt Heike Frese. „Daß wir aber unser Betriebskonzept, die Kredite darauf ausgerichtet haben, daß jeder Einschnitt weitere Verschuldung und Arbeitsplatzabbau in einer Gegend, in der es nicht mehr viel Arbeitsplätze gibt, mit sich bringt, will niemand wahrhaben.“ Herr von Maltzahn brauche nicht einmal die Vergabekriterien für Land - es selbst zu bewirtschaften -, zu erfüllen. Die ortsansässigen Bauern und Agrargemeinschaften bangen um Acker und Hof. Zuviele sind zutiefst verunsichert, sagt Heike Frese. Wird die Geschichte zurückgedreht?
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