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  • Kultur
  • „Golden fließt der Stahl“: DDR-Klassik in der Volksbühne

In den „Hauptrollen“ Castorf und Gysi

  • Gunter Gort
  • Lesedauer: 3 Min.

Dramatisches Duett: Gysi und Castorf

Foto: Joachim Fieguth

Nach der heiter-provokanten „Räuber“-Inszenierung leerte sich der große Saal der Volksbühne am Sonntagabend nur zögerlich. Immer wieder wurden die Akteure auf die Bühne gerufen. Und das nicht etwa für eine neue Produktion. „Die Räuber“ von Castorf, Schiller hat hier nur Pate gestanden, sind bereits seit 1990 auf dem Spielplan. Aber dann blieben die Schauspieler doch in den Kulissen, schließlich sollte um 23 Uhr des Spektakels zweiter Teil folgen, mit Frank Castorf und Gregor Gysi in den Hauptrollen. Nein, keine Wahlveranstaltung, wie die Christdemokraten im Vorfeld argwöhnten, um Kunst ging es. Aus dem frühen DDR-Stück „Golden fließt der Stahl“ wollten beide lesen. Nun hat der Gysi zwar eine bekannte Schauspielerin zur Schwester, aber das muß ihn nicht gleich zum Schauspieler prädestinieren, obwohl er natürlich als Anwalt und Politiker in bestimmtem Rollenverhalten geübt ist.

Intendant Castorf gab denn zu Beginn Aufklärung, wie's zum Engagement Gregor Gysis kam. Castorf hatte das Stück 79 in Brandenburg inszeniert. Eine naive Story über den Aufbau eines Stahlwerkes in der jungen DDR. Um Republikflucht geht es da, um Sabotage. Wer Castorf kennt, wird sich denken können, daß er den Stoff damals nutzte, um die politische Situation im Lande im Jahre 1979 zu beleuchten. Folge: die Inszenierung wurde verboten. Der Regisseur prozessierte, und gewann dank seines Anwalts. Der hieß Gregor Gysi. Und da Castorf als

Beitrag zu Geschichtsaufarbeitung ehemalige DDR-Stücke ins Gedächtnis rufen will, machte es schon Sinn, Gregor Gysi zu bitten.

Geht man davon aus, mit welchem Vergnügen Gysi in die verschiedensten Rollen

schlüpfte, muß es keine großen Überredungskünste gekostet haben. Klar, daß sowohl der Politiker als auch der Theaterleiter die Gelegenheit zu aktuellen Extempores nutzten. Sehr zum Vergnügen des Publikums im vollbesetzten Saal. Aber auch der Originaltext bietet in

seiner naiven Hilflosigkeit genügend Anlaß zu Heiterkeit. So ganz ist die Bemerkung eines Kollegen neben mir nicht aus der Luft gegriffen: Quatsch, daß absurdes Theater eine westliche Erfindung sei, die Wiege stand bei uns, wie das Stück zeigt.

Trotzdem, Castorf trägt sich mit dem Gedanken, es in der Volksbühne zu inszenieren. Darüber ließ er mit weißen und roten Karten abstimmen. Rot gleich ja. Aber wie das Ergebnis auch ausfällt, wenn nicht genügend rote Zettel im Kasten

sind, wäre er auch bereit, das Ergebnis zu korrigieren, ließ er durchblicken. Schließlich habe man damit ja gewisse Erfahrungen. Wie auch immer, auf das Regie-Ergebnis des Stückezertrümmerers Castorf darf man gespannt sein. Eines darf gewiß sein, es wird bestimmt eine eigenwillige, kaum von Nostalgie getrübte Sicht auf 40 Jahre deutscher Geschichte. Ob nun mit oder ohne Option des abendlichen Publikums, er sollte uns nicht zu lange warten lassen.

GÜNTER GORTZ

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