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- Kitas nach der Wende Als Zeuge in dieser Sache: SIEGFRIED OETER vom Kita-Verein „Spatzennest“
Mutiges Management in der Kita
Noch weint Louise. Kurze Zeit später fühlt sie sich im „Spatzennest“ von Groß Glienicke wieder wohl ND-Fotos: Burkhard Lange
„Mit unserer Kita stehen wir auf der Kippe, immer. Wenn man glaubt, man hat es geschafft, kippt man.“ Siegfried Oeter braucht diesen Kitzel zwischen Sein und Nichtsein. Als Geschäftsführer der Kita „Spatzennest“ in Groß Glienikke sitzt er auf dem richtigen Platz. Nachdem auch die Kitas im Osten Deutschlands mit den marktwirtschaftlichen Realitäten konfrontiert sind, ist mutiges Sozialmanagement gefragt, damit Kinder von all dem kinderfeindlichen Gezerre im Kita-Bereich weitestgehend verschont bleiben. Man mag darüber streiten, ob es den Bedürfnissen von Kindern gerecht wird, daß über Geld geredet werden muß. Für den Kita-Verein ist das Alltag.
Nur Louise weint ein wenig, als sie von ihrem Vater in den Garten geführt wird. Wenige Minuten später verteidigt sie jedoch ihre Schaufel und schaut mutig drein. Die Vorschulkinder schnüren ihre Decken zum Bündel und gehen zum nahegelegenen See baden. „Wissen Sie, ich schwärme geradezu für diese Kita. Die Erzieherinnen sind hier unheimlich liebevoll“, sagt Manuela Puchmayr.
In die am Waldrand liegende „Spätzenhesf'-Villa gingen heute nicht, 60 Kinder, Wenn nicht Eltern im Herbst '1991 entschieden hätten, einen Verein zu gründen und die Kita selbst zu übernehmen. Bei dem rapiden Geburtenrückgang begann die Gemeinde zu rechnen und war entschlossen, die Kita als eine von vieren in Groß Glienicke aufzulösen. Diese Herausforderung nahmen zehn Mütter, Väter und Mitarbeiter an. Sie wußten nicht, wo sie das Geld auftreiben sollten für sieben Erzieherinnen, davon zwei Teilzeitkräfte, eine Köchin und einen Geschäftsführer. Sie kannten die Voraussetzungen für eine freie Trägerschaft ebensowenig wie die Konsequenzen, wenn es schief gehen sollte. Aber die am schönsten gelegene Kita der Gegend sollte den Kindern nicht genommen werden.
„Hier hat sich ausgezahlt, daß viele Eltern aus Berlin ihre Kinder ab 1991 in unsere Brandenburger Kita gebracht haben“, berichtet Siegfried Oeter „Sie kannten sich besser aus im Behördendschungel. Sie griffen auch ohne zu Zögern zum Telefonhörer und
riefen Sponsoren an. Zur Zeit gehen ein Drittel Brandenburger und zwei Drittel (Westberliner Kinder in diese Kita.
Alexander Puchmayr aus dem Westberliner Ortsteil Kladow war im August 1993 gerade zwei Jahre alt, als er das erste Mal zum „Spatzennetz“ gefahren wurde. „In Kladow hätte ich frühestens in diesem Jahr einen Platz erhalten, wenn überhaupt“, erzählt seine Mutter. „Dann hätte ich alle paar Wochen in der Kita vorbeigehen müssen/ um mein Interesse zu zeigen. Ohne diesen Platz hier hätte ich nicht ar-
beiten gehen können.
Die in Ost- und Westdeutschland so widersprüchliche Situation hebt sich im Grenzland zwischen Brandenburg und (West)Berlin auf. Die Chance, die im Osten freigewordenen Kitaplätze zu besetzen, nahmen Westberliner Eltern an. Ursel Hermanowski, im Amt Fahrland für Kitas zuständig, hofft, daß der Neubau von Sozial- und Eigentumswohnungen in Groß Glienicke
und Fahrland den Erzieherinnen in den fünf kommunalen und drei freien Kitas und den drei kommunalen Horten die Sorgen, arbeitslos zu werden, bald nimmt. Wenigen Kommunen bietet sich solche Aussicht.
Siegfried Oeter hält nicht viel von Hoffen und Wünschen. Die Kommune ist per Gesetz verpflichtet, vorrangig freie Träger zu fördern. Im Kita-Gesetz des Landes Brandenburg ist festgeschrieben, daß unter anderem 70 Prozent der Personalkosten durch das Land und den Kreis getragen werden
müssen. Das hat zur Folge, daß die Elternbeiträge der freien-Kitas nicht wesentlich über denen der kommunalen liegen. Allerdings wird auch die Attraktivität einer Kita mit entscheiden, ob sie bestehen bleibt. Ohne je eine Werbekampagne gemacht haben zu müssen, übersteigen die Anträge die Platzkapazität des Spatzennestes. Unter Mithilfe von Sponsoren erhielt der Spielplatz in diesem Jahr neue
Geräte. „Das Spiel der Kinder ist nach dem Umbau viel intensiver geworden“, beobachtet Erzieherin Xenia Marschner-Behr. Dafür haben die Erzieherinnen auf eine Gehaltserhöhung für 1994 verzichtet, auch wenn ihnen das nicht leicht gefallen ist, aber „die Arbeitsbedingungen verbessern sich. In den letzten 14 Tagen sind auch alle Räume renoviert und neu eingerichtet worden“
Zwar dreht sich in einer Kita alles um das Wohlbefinden der Kinder, aber auch Eltern stellen zunehmend höhere Anforderungen. Siegfried Oeter
nennt das „Spatzennest eine soziale Kommunikationsstelle. Die Kommunikation erfolgt auf verschiedenen Ebenen. So prallten Ende letzten Jahres unterschiedliche Vorstellungen über den Wechsel der Kinder in die älteren Gruppen aufeinander. Siegfried Oeter: „Vor allem Mütter aus Westberlin waren unzufrieden. Sie tuschelten, aber sagten nichts laut. Auch die Erzieherinnen blokkierten.“ Eine Elternversamm-
lung, in der sich der Frust Bahn brach, löste den Gesprächsstau, eine einvernehmliche Lösung wurde gefunden. „Diese Schwierigkeiten im Umgang zwischen den Erwachsenen brachten uns zwei Abmeldungen. Nach der Versammlung jedoch meldeten fünf Eltern Geschwisterkinder bei uns an. Die Mitgliederzahl des Vereins stieg von 29 auf 45. Jetzt machen uns Elternvertreter sofort auf Probleme aufmerksam“, berichtet Siegfried Oeter
Seit einigen Wochen trifft sich eine Mutter-Kleinkind-Gruppe in der Kita. Mütter mit
Kindern, die noch nicht in die Kita gehen, kommen hier zusammen, um während der Zeit zu Hause den Kontakt zu anderen nicht zu verlieren.
Zum Sommerfest der Kita am 27 August erwartet der Verein bis zu 2000 Neugierige aus der Umgebung. Der Erlös der Tombola, deren erster Preis eine Flugreise nach Kreta ist, kommt selbstverständlich den Kindern zugute.
ALMUTH NEHRING
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