Kunden werden in Schweden bestraft

Stockholmer Ministerin Carin Jämtin: Gleichstellung und Prostitution sind unvereinbar

  • Jochen Preußler
  • Lesedauer: 3 Min.
Der preisgekrönte schwedische Film »Lilja 4-ever« war in der Berliner Botschaft des skandinavischen Landes Ausgangspunkt ausführlicher Erörterung von Prostitution und Menschenhandel.
Als »Lilja 4-ever« unter der Regie von Lucas Moodysson 2002 Premiere hatte, waren die Zuschauer schockiert. Geschildert wird nach einer authentischen Begebenheit das dramatische Schicksal einer hübschen 16-jährigen Russin, die aus Verzweiflung über ihre eigene Lage in die Hände von Menschenhändlern gerät und mit gefälschtem Pass nach Schweden transportiert wird. Hier wird sie - eingeschlossen in ein Zimmer - zur Prostitution gezwungen. Als Lilja nach schweren Misshandlungen die Flucht gelingt, springt sie in Malmö von einer Autobahnbrücke. Laut Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) werden »jährlich mindestens 500000 Frauen und Kinder an lokale Prostitutionsmärkte in Europa verkauft«, davon etwa 120000 aus Ost- und Südosteuropa - wobei die Dunkelziffer nach Meinung der IOM in den letzten Jahren »einen dramatischen Anstieg« aufweist. Bei den Tätern handele es sich vor allem um gut organisierte Banden und Netzwerke, die durch die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern Milliardengewinne einstreichen. Großes Interesse erweckte deshalb auf einer Konferenz zu Menschenhandel und Prostitution in der Berliner schwedischen Botschaft ein hier zu Lande weitgehend unbekanntes schwedisches Gesetz, das »die Prostitution als gegen die Frauen gerichtete Gewalt« definiert. Nach diesem auf Initiative der Frauenbewegung vom Stockholmer Reichstag beschlossenen Gesetz sind in Schweden nicht nur Menschenhandel, Zuhälterei usw. strafbar, sondern auch »der Kauf und der Versuch des Kaufs sexueller Dienste«. Die zur Prostitution gezwungenen Frauen haben hingegen keine Strafen zu befürchten. Es sei wichtig, so stellte die schwedische Entwicklungsministerin Carin Jämtin auf der Konferenz fest, »diese Frauen zu motivieren, einen Ausweg aus der Prostitution zu finden, ohne bestraft zu werden«. Schweden betrachte die »Prostitution als schwerwiegende Form der Unterdrückung von Frauen, die bekämpft werden sollte«. Deshalb trat bereits 1999 ein Gesetz »über das Verbot des Kaufs sexueller Dienste« in Kraft, das Geld- sowie Gefängnisstrafen bis zu sechs Monaten androht. Als die schwedische Ministerin dieses Gesetz erläuterte, konnte man im Konferenzsaal so manche erstaunten Gesichter beobachten. Die Sonderberaterin der schwedischen Regierung, Gunilla Ekberg, teilte dazu mit, dass seit Inkrafttreten dieses Gesetzes die offene Prostitution auf den Straßen Schwedens drastisch zurückgegangen ist und sich die Zahl der Kunden um nahezu 80 Prozent reduzierte. Ausländische Frauen seien fast vollständig von der Straße verschwunden. In den ersten beiden Jahren nach Inkrafttreten, so hieß es, wurden 100 Männer, die der käuflichen Liebe frönten, verurteilt. Allerdings machten die schwedischen Experten auch kein Hehl daraus, dass die Umsetzung dieser »revolutionierenden« Gesetzgebung nicht einfach ist. Besonders im Norden Schwedens bei einer 400 km langen Grenze zu Finnland sei die Lage nicht unter Kontrolle. Vor allem russische Frauen würden nach wie vor über die Grenze geschleust, oder mit Bussen als Touristen getarnt in Hotels gebracht, um dort an schwedische Männer verkauft oder weiter nach Europa transportiert zu werden. Vor allem aber wäre die Kontrolle durch die Polizei schwierig. Es mangele an Ressourcen, aber auch an gutem Willen, den Freiern zu nahe zu treten. Die käufliche Liebe verlagere sich in die Wohnungen. Und: Es bestehe immer noch eine Kluft zwischen politischem Willen und Realität. Das Entscheidende sei jedoch die Aufklärung, grenzüberschreitende Vereinbarungen und die Beseitigung der Wurzeln von Menschenhandel und Prostitution, die Bekämpfung von Armut und sozialer Ungerechtigkeit. In der Debatte wurden - etwa vom Deutschen Frauenrat - auch Bedenken laut, ob Schweden mit jenem Gesetz nicht zu weit gehe, in Deutschland kämpften die Prostituierten z.B. um soziale Anerkennung. Gunilla Ekberg erwiderte darauf, dass Ausdrücke wie »das älteste Gewerbe der Welt« nur »beschönigende Umschreibungen eines rohen Handels« seien, bei dem sich die Frau »ganz unten auf der Werteskala befindet«. Die Bekämpfung der Prostitution sei »ein notwendiger Bestandteil der Gleichstellungspolitik«. Es wäre heuchlerisch, erklärte sie, »von Gleichstellung zu sprechen und gleichzeitig Prostitution zu akzeptieren«.
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