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Im Laden nie allein

  • Lesedauer: 2 Min.

Alt, die grauen Haare nach oben gesteckt, liebenswürdig, immer Zeit für einen Plausch und natürlich Gratis-Lutscher für die Kids. So sieht das weitverbreitete Klischee der Tante Emma aus. Die Fernseh-Werbung tat ihr übriges. Würde dieses Klischee von der alten Frau und dem kleinen Laden noch nicht existieren, bei Marianne Karger (75) wäre es garantiert geboren worden.

Seit 1949 führt sie in der Togostraße im Wedding ihren kleinen Süßwarenladen. Den ältesten und mittlerweile einzigen „Tante-Emma-Laden“ im Karree. Die Holzregale, der Verkaufstresen mit den vollgestellten Bonbon-Gläsern und die Pralinenwaage, alles stammt noch aus dieser Zeit. Selbst manche ihrer Kunden.

„Zu mir kommt jetzt die dritte Generation“, sagt sie voller Stolz. „Neulich bat mich eine Frau, genau so eine Zuckertüte für die Enkelin zur Einschulung zu füllen, wie ich ihre vor 44 Jahren füllte.“ In solchen Momenten stehen ihr die Tränen in den Augen, ist sie gerührt. Für ihren Laden lebt sie, steht jeden Tag um fünf Uhr auf, erledigt die Einkäufe und die immer komplizierter werdende Buchführung. Auch das Geschäft läuft nicht mehr so gut, seit die Leute so figurbewußt leben.

Ihre treuesten Kunden sind die Kinder. Nur mit der Witwenrente ihres verstorbenen Mannes kann sie noch ihre süße Traumwelt erhalten. Und auch die Beine wollen nicht mehr so. Im Januar mußte Frau Karger ins Krankenhaus und den Laden das erste Mal für ein paar Wochen schließen.

„Ich bin so froh, daß ich noch eine Aufgabe habe“, lächelt sie. „Hier bin ich nie alleine.“ Schon,,,.. morgens.., kommen die ersten Kinder.

Zum Frühstück. „Ich kann das nicht mit ansehen, wenn sie ohne was im Bauch zur Schule gehen.“ Eigene Kinder hatte sie nie. So kümmert sie sich auch um Waisenkinder. „Die kommen gerne zu mir und helfen. Den gebe ich natürlich was Süßes umsonst mit“, erzählt Marianne Karger. „Mir tut es einfach leid, daß sie ohne Eltern aufwachsen müssen.“

Grundsätzlich werden alle Kunden mit Vornamen angeredet. Marianne Karger weiß schon vorher, was alle haben wollen und verwahrt auch die Zweitschlüssel der Nachbarn im Laden auf. Für den Notfall.

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