Rätsel um Neu-Sollstedt
zeichnungen, die damals verbrannt sein soll. Seltsamerweise sind später etliche Stükke davon wieder aufgetaucht. Und Silber verbrennt ja nun einmal nicht. Man hätte die geschmolzenen Reste doch finden müssen.“
Auch Dr. Hermann Simon, Chef der „Stiftung Neue Synagoge Berlin“, glaubt nicht an die Vernichtung des „Judensilbers“ „Wenn es wiedergefunden werden sollte, gehört es hierher“, betont er - Simon meint das Zentrum der in Wiederaufbau befindlichen Stätten der jüdischen Glaubensgemeinschaft in Berlin, in der Oranienburger Straße.
Wohin nun aber ist das „Judensilber“ gekommen? Der 1958 verstorbene ehemalige Direktor der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, Dr. Ernst Gall (1945 „in den Westen gegangen“), hatte von einem „Kunstgutdepot ganz in der Nähe des Schachtes Bernterode“ gesprochen. Nur etwa drei Kilometer von Bernterode entfernt liegt Neu-Sollstedt. Ein Stollen hier trug
bei der SS den Code „Jöhnenmon“ Der Code findet sich auch in den Unterlagen des 1987 verstorbenen Bernsteinzimmer-Forschers und Ex-Stasioffizier Paul Enke.
Im Sommer 1992 erschien das Buch „Vorstoß in die Vergangenheit“ von Gisela Graichen und Hans Helmut Hillrichs. Es enthielt auch ein Interview mit dem Weimarer Archäologieprofessor Dr Günter Behm-Blancke. Der Professor erzählte, er habe im Frühjahr 1945 den Auftrag gehabt, „Museumsinventar des Märkischen Museums in einem Stollen bei Nordhausen zu deponieren.“ Damals habe er 800 KZ-Häftlinge vor dem sicheren Tod bewahrt und sei nur deshalb nicht selbst erschossen worden, weil „ein hochrangiger SS-Mann“ dort sein Schulkamerad gewesen wäre. Frau Altner weiß weder etwas von Einlagerungen ihres Museums bei Nordhausen noch von einem Auftrag an Dr. Behm (den zweiten Namen legte sich der Archäologe erst nach 1945 zu).
Im Kaliwerk Sollstedt geben die beiden Bergingenieure
Werner Herzel und Frank-Henning Wenkel Auskunft. Seit September 1944 habe sich bei Neu-Sollstedt ein Nebenlager des KZ Dora mit etwa 450 Häftlingen befunden. „Der Kommandant des Lagers war ein SS-Obersturmführer Georg Braun. Ende März 1945 sind da noch sieben Häftlinge umgebracht worden.“ Auf meine Frage, ob der Retter der anderen Häftlinge Dr Günter Behm hieß, antwortet Herzel: „Nein, das war der Fahrsteiger Paul Jödicke. Die Häftlinge sollten untertage eingeschlossen, der Schacht zugesprengt werden. Das hat Paul verhindert.“
Weitere Recherchen ergaben: Behm-Blancke stand im Februar 1951 im WN-Ermittlungsdienst als „Dr. Behm, Günter, alias Blank, geb. 10.3.1912“, „zur Bewachungsmannschaft des Kalischachtes .Sollstedt' bei Nordhausen“ gehörig. Der 1943 promovierte B.-B. gehörte seit 1932 der SA und seit 1937 der NSDAP an. Aus seiner der Dissertation beigefügten Biographie geht hervor,
daß er in Nordhausen die Grundschule besucht hatte. Er blieb bis Anfang der 50er Jahre in Rehungen, der Nachbargemeinde von Neu-Sollstedt, als Neulehrer. Offenbar hat er es verstanden, sich gut zu tarnen. Daß in Neu-Sollstedt Schätze verborgen wurden, war nach der Wende in aller Munde. Herr Grünberg, der in Neu-Sollstedt gewohnt und dort mit Dr. Behm-Blanckes Sohn gespielt hatte, weiß von seinem Vater, daß Dr Behm dort vor der Befreiung („nur im Ledermantel“) herumgelaufen sei. Zwei ehemalige MfS-Kriminalisten berichteten mir ebenfalls, daß Neu-Sollstedt ein „offenes Geheimnis“ sei. Werner Herzel sagt, von eingelagerten Kunstschätzen habe er noch nichts gehört, schließe das aber nicht aus.
Daß Behm-Blancke auf keinerlei nähere Anfragen - weder zu DDR-Zeiten noch nach der „Wende“ - reagierte, wird wohl nicht nur an der Befürchtung gelegen haben, die Wahrheit über die Rettung der 450 (nicht 800) Häftlinge könn-
te ans Licht kommen. Im Frühjahr 1994 verstarb er.
Was ist damals in Neu-Sollstedt eingelagert worden, von wem hatte Dr. Behm wann den Auftrag erhalten, welche Kunstschätze des Märkischen Museums in Neu-Sollstedt zu verbergen? Die Auslagerungsorte des Museums sind bekannt. Neu-Sollstedt ist nicht darunter. Jedenfalls nicht offiziell. Daß es auf dem Gebiet der ehemaligen DDR noch wenigstens ein Depot geben haben muß, das in den einschlägigen Archivunterlagen nicht erwähnt wird, belegt nicht nur die Aussage von Ernst Gall. War mit dem Depot „ganz in der Nähe von Bernterode“ Neu-Sollstedt gemeint? Und ist sein Inhalt tatsächlich nicht geborgen worden?
Der Weimarer Heimatforscher Hans Stadelmann fand den Beleg, daß amerikanische Truppen am 26. April 1948 mehr als 30 Tonnen Silber, das die Nazis deutschen Juden geraubt hatten, in die USA verbrachten. Darunter waren 10,8 Tonnen „jewish religious objects.“ War auch das Berliner „Judensilber“ darunter?
GUNTER WERMUSCH
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