Starke Charaktere
Von den zahlreichen Werken, die Hans Pfeiffer im Laufe der Jahrzehnte veröffentlicht hat, handeln viele von außergewöhnlichen historischen Persönlichkeiten. Stets legte er Wert auf exakte Recherchen, um starke Charaktere - Männer wie Marx und Müntzer, Bebel und Bismarck, Clausewitz und Scharnhorst - möglichst facettenreich in Szene zu setzen. So auch in seinem neuesten Buch „Unser schönes blutiges Handwerk“
Der Untertitel verspricht einen Charite-Roman. Wer allerdings vermutet, daß die Handlung unverzüglich eintritt in diese einzigartige medizinische Einrichtung, der geht fehl. Auch die Stasi spielt keine Rolle, was naheliegen könnte heutzutage, da man schon die tolldreistesten Charite-Gruselgeschichten gehört hat. Nein, nichts von alledem. Die Handlung versetzt uns in die Zeit des ersten Preußenkönigs, als die Charite noch nicht existierte. Im Mittelpunkt steht Johann Paul Schroth, der vom mittellosen Barbiergesellen zum „Ersten Chirurg“ der Charite avancierte.
Im Jahre 1710 ist er nach Berlin gekommen - geflohen aus Ostpreußen vor der Pest, die dort grassierte. Bei einem renommierten Barbiermeister findet er Anstellung. Barbiere aber führten zu jener Zeit bekanntlich auch chirurgische Eingriffe aus. Hat der Herr Geheimrat eine Furunkulose, geht er zum Barbier. Hat er einen Leistenbruch, kein anderer als der Barbier kann ihm helfen. Als Doppelleistenbrüchiger bekommt man allerdings noch im nachhinein eine Gänsehaut, wenn man liest, wie'harsch es zu jener Zeit zuging. Und ganz und gar glücklich erinnert man sich an erlebten Charite-Standard, wenn barbierische Blasenstein-Entfernung behandelt wird. Da hat der Meister dann gleich mit den scharfen Fingernägeln einen Hoden mit herausgerissen...
Nein, lustig ist es gerade nicht, was Plans Pfeiffer da schlicht erzählt. Lustig ist auch das Leben des Johann Paul Schroth nicht. Aber es ist das Leben eines Menschen, der wohl den Menschen immer helfen will. Und so kommt es, daß in jenem Gebäude, das König Friedrich I. ursprünglich vor den Toren der Stadt als Pesthaus errichten und dann später zur Charite umwandeln ließ, Schroths chirurgische Laufbahn amputiert wird. Charakter und Courage waren ihm wichtiger als Karriere.
Ob sich Hans Pfeiffer beim Schreiben wohl mitunter mit dem Helden seines Buches verglichen hat? An seinem 70. Geburtstag kann er immerhin auch auf ziemlich wechselvolle Jahre zurückblicken. In Schlesien geboren, machte er nach dem Abitur seine ersten „Berufserfahrungen“ als Weltkriegs-Sanitätssoldat. Vom Landlehrer (1946) ging er seinen Weg (trotz zeitweiliger Querelen mit der Obrigkeit) zum Direktor des Instituts für Literatur „J. R. Becher“ in Leipzig (1985-1990). Sein vielfältiges literarisches Werk umfaßt zeitgenössische Romane, Studien und Essays, Fernsehund Hörspiele, Erzählungen und Theaterstücke wie „Laternenfest“ und vor allem auch Krimis. Da zogen ihn vor allem auch Fälle aus der Rechtsmedizin an. Seine bekannten Bücher „Die Sprache der Toten“ und „Die Spuren der Toten“ sind jüngst erst wieder im Leipziger Militzke Verlag nachaufgelegt worden. Zudem war Prof. Hans Pfeiffer auch einer der wenigen Literaturwissenschaftler in der DDR, die das Genre ernst nahmen. Mit „Die Mumie im Glassarg“ unternahm er einen Versuch, eine Geschichte der Kriminalliteratur zu schreiben.
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