Was ist Hoffnung, was Illusion?
Beginnen wir unser Gespräch über Deutschland mit Wadim Sagladin.
Kein guter Auftakt.
Stimmt. In der jüngsten Ausgabe des „Focus“ wird behauptet, Ihr ehemaliger Mitstreiter habe gesagt, Sie wollten 1989 der maroden DDR-Führung mit Panzern helfen.
Sagladin wurde im November 1988 seines Postens im ZK der KPdSU enthoben, bei keiner Sitzung der Staats- und Parteiführung war er fortan anwesend. Es ist für mich nicht von Belang, was ein Abwesender sagt. Zudem galt damals in der Zentrale die Prämisse: Bei alledem, was in der DDR passiert - keine Gewaltanwendung. Niemand widersprach dem in meiner Anwesenheit.
Wir kommen darauf zurück. Zweiter Weltkrieg, DDR, ! Bundesrepublik, nun die wiedervereinigte Nation; Sie waren Betroffener und Gestalter - Deutschland ist Ihr Schicksal geworden.
Das stimmt.
Es ist immer wieder geheimnisvoll, wie ein Leben in seine Bahnen gerät. Hinterher reibt man sich die Augen und fragt: Wie kam nur alles?
Es gibt eben einen Sog, dem wir ausgesetzt sind, und manche Zufälle verknüpfen sich.
Bei Ihnen war es eine Frau im Moskauer Elternhaus.
Ja, sie sprach mehrere Sprachen und drängte meine Mutter, ich solle doch Deutsch ler-
tung auch Österreichs Los sei. Aber Österreicher sagten zu solchen Offerten immer wieder Nein -und so wurde ihr Land nicht gespalten und die bürgerliche Lebensordnung nicht gefährdet.
Das wäre auch den Deutschen möglich gewesen? Sie hätten die Spaltung damals verhindern können?
Wenn die deutschen Politiker das wirklich gewollt hätten, wenn sie die Menschen darüber hätten entscheiden lassen, ja! Die Sowjetunion schlug im Sommer 1945 nicht nur eine gesamtdeutsche Eisenbahnverwaltung vor, sondern auch die Gründung gesamtdeutscher Parteien und Gewerkschaften. All das wurde abgewiesen. Das Interesse zur Kooperation mit Moskau ging verloren, der Kalte Krieg stand vor der Tür Und mit ihm die Spaltung Deutschlands.
Wäre es bei Annahme des Vorschlages für gesamtdeutsche Parteien überhaupt zur Vereinigung von KPD und SPD zur SED gekommen?
Nein. Die Kommunisten waren zunächst sowieso dagegen. Sie glaubten, auch ohne Vereinigung das Übergewicht in der Ostzone zu gewinnen. Erst als Walter Ulbricht erkannte, daß die Sozialdemokraten größeren Zulauf von Arbeitern bekamen, nutzte er die Grotewohl-Initiative gegen die SPD - und zwar mit aller Brutalität, zu der er fähig war
Jetzt sind die Notizen Piecks, Ulbrichts und Grotewohls von ihren Gesprächen mit Stalin bekannt geworden. Sie bezeugen, daß Stalin gegen die deutsche Teilung war und davor warnte, Tatsachen im Sinne einer festgefügten Spaltung zu schaffen. Für ihn hatte die Gewährleistung von sowjetischen Sicherheitsinteressen die
höchste Priorität. Sie stand vor ideologischen und ähnlichen Dogmen. Für Stalin war Deutschland als Partner ein Garant, daß vom Westen nichts gegen die Sowjetunion unternommen würde. Also: Je größer der Partner Deutschland, desto besser Lesen Sie die Potsdamer Dokumente, da sind Beschlüsse über Demilitarisierung, Demokratisierung und Entnazifizierung festgehalten, die in den westlichen Zonen aber verschleppt und unterlaufen wurden. Erste Vorschläge für freie Wahlen stammen von der Sowjetunion, nicht von den drei Westmächten. Ihre Reaktion lautete: Wir vertrauen der demokratischen Qualität der Deutschen nicht. Für den Westen stand schon spätestens 1946 fest, entweder ganz Deutschland gelänge unter seine ausschließliche Kontrolle, oder es verliere das Recht auf Existenz als einheitlicher bürgerlicher Staat.
Das hört heute sicher nicht jeder gern.
Die Geschichte soll so dargestellt werden, wie sie war, nicht so, wie sie nach der ideologischen Entfremdung gern gesehen wird.
Geschichtsschreibung hat den Nachteil: Sie wird nur von Überlebenden geschrieben. Kann sie je anständig sein?
Auf Anständigkeit zu setzen, erscheint mir im Moment des Siegesrausches naiv Der Weg zur Wahrheit in der einen Richtung wird allzuoft mit Unterschlagungen in andere Richtungen gepflastert. Ja, Geschichtsschreibung ist zumeist nur geistige Monokultur. Man braucht Zeit für deren Überwindung. Albert Einstein sagte: Jede neue Epoche schenkt uns neue Augen. Und wir sind jetzt in so einer neuen Epoche, die vielen Stereotypen den Boden entzieht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.