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Bau boomt, die Konkurse der Baufirmen auch

Aufträge und Sicherheiten sind da, die Banken bleiben bei Görlitzer Bau GmbH trotzdem skeptisch Von HANS-WERNER OERTEL

  • Lesedauer: 4 Min.

Wer in Görlitz eine Baufirma besitzt, dürfte damit Gold in der Hand halten. Schließlich sorgt die Grenzstadt an der Neiße für die nächsten Jahrzehnte als Sanierungsbauplatz ersten Ranges für Aufträge über summarisch viele hundert Millionen Mark. Demzufolge müßte der Aufschwung der örtlichen Baubranche zügig vorankommen, die nach Auskunft von Oberbürgermeister Matthias Lechner (CDU) - auch wegen des industriellen Einbruchs - inzwischen zum größten Arbeitgeber avanciert ist. Die Realität hingegen ist noch eine andere, wie das Beispiel der Bau GmbH Görlitz zeigt.

Aus dem VEB Stadtbau hervorgegangen und zunächst an ein MBO/MBI aus einheimischem und westdeutschem Partner privatisiert, drohte trotz voller Auftragsbücher der 300-Mann-Firma der finanzielle Absturz. Ex-Banker Lothar Bals aus Westfalen, seit einen halben Jahr lOOprozentiger Gesellschafter und Geschäftsführer des Unternehmens, zählt im Rückblick einige hausgemachte Gründe dafür auf: Managementfehler, zum Teil schlecht durchkalkulierte Preise, zuviel Vertrauensseligkeit...

Die übernommene Altschuldenbelastung, die für den 55jährigen Geldexperten Baisverwunderliche Zurückhaltung der Banken, ein handfester Computerbetrug und vor allem auch rüde (West)Manieren, wenn es ums Bezahlen von

Aufträgen geht, belasteten besonders in den Jahren 1993 und 1994 die Liquidität des vor allem auf Sanierung spezialisierten Unternehmens. Folge der Außenstände von mehreren Millionen Mark in der kleinen Firmenholding mit rund 40 Millionen Mark Jahresumsatz: Kurzarbeit 1994 und sogar einige Entlassungen. Wegen des Zahlungsengpasses standen Bals und seine Crew nicht nur einmal in der Kritik von Handwerkern, mit denen die Bau GmbH zusammengearbeitet hatte. Auslöser für die Probleme der Baufirma waren sowohl säumige bzw finanziell ins Aus geratene private Bauherren wie auch der damals noch öffentliche Auftraggeber Telekom. Diese hatte Unteraufträge an in Konkurs gegangene Betriebe vergeben, die wiederum die Görlitzer Bau GmbH beauftragt hatten. Kom-

promisse mußten her, sollte die Existenz der GmbH nicht beeinträchtigt werden.

Seit der Geschäftsübernahme versucht Bals mit gewissem Erfolg, seine Vier-Firmen-Holding zu konsolidieren. Das Mahnwesen wurde neue strukturiert, eine Stellenausschreibung für einen erfahrenen Kaufmann läuft, neue Großaufträge werden komplettiert mit der Profilierung eines zukunfträchtigen Geschäftsfeldes

- schlüsselfertiger Wohnbauten. Eine erste Visitenkarte hatte die GmbH mit 49 Eigenheimen in der Vorstadtsiedlung „Am Stockborn“ hinterlassen. Jetzt zielt Bals mit Hilfe eines westdeutschen Fertighausherstellers auf die landschaftstypischen Umgebindehäuser der Lausitz ab. Diese vor 75 Jahren in der Region zuletzt gebauten Wohnhäuser

- eine Symbiose von Block- und Fachwerkhaus mit 150 Quadratmetern Wohnfläche - sollen für unter 300 000 DM angeboten werden.

Fünf Jahre nach der Wende nimmt das Bauunternehmen zusehends Abstand von Fehlern aus der jüngsten Vergangenheit. Würden die Banken noch mitziehen, könnte nach bereits 1994 erwirtschafteten

schwarzen Zahlen der Aufwärtstrend fortgesetzt werden. Doch die Geldinstitute zeigen sich zögerlich. Trotz verbesserter Auftragslage - für 1995 werden ca. 50 Millionen Mark kalkuliert - und guter Sicherheiten durch firmeneigenen Grund und Boden im Wert von rund 14 Millionen Mark argwöhnen die Banken immer noch bei den Darlehen.

Eigentlich darf Bals seine beiden Görlitzer „Filetflächen“ erst Anfang 1996 als Bankensicherheit in die Waagschale werfen. Diese im Kaufvertrag mit der Treuhand festgelegte Bindefrist soll nun aufgrund der besonders schwierigen Finanzsituation des Unternehmens gelockert werden. Ein entsprechendes Signal hatte Bals überraschenderweise kürzlich von der Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft in Dresden erhalten.

Doch die Banken wollen trotzdem stur bleiben. Dagegen läuft der Ex-Banker nun Sturm. „Wir sichern Beschäftigung über unsere eigenen Mitarbeiter hinaus, wir bieten Sicherheiten, haben Aufträge und jetzt auch greifbar neue Perspektiven - soll das alles an der Übervorsichtigkeit der Banken scheitern?“, schüttelt

Lothar Bals den Kopf. Typisches Westdenken, so die neue Erfahrung des Westlers, werde zu Sand im Getriebe für den Ostaufschwung.

Nicht nur in Görlitz stottert die Baubranche, obwohl hier - wie sachsenweit - 76 Prozent aller ausgelösten Bauaufträge im Freistaat bleiben. Unter der Überschrift „Konkurs mit vollen Auftragsbüchern“ versuchte die Industrie- und Handelskammer kürzlich die Diskrepanz zwischen beachtlichen Steigerungsraten der zu zwei Dritteln durch öffentliche Auftraggeber stimulierten Bauwirtschaft und den andererseits zunehmenden Insolvenzen in Sachsen zu erklären: „Zum einen hat der Wettbewerbsdruck enorm zugenommen. Wettbewerbsverzerrungen treten auf, hervorgerufen durch Billiganbieter und Überkapazitäten - die Firmen müssen Preiszugeständnisse machen, um Aufträge zu bekommen.“ Sowie: Die zu geringe Eigenkapitaldecke - „verschärft durch die vorherrschende schlechte Zahlungsmoral“ - führe zum Zusammenbruch. In Sachsen mußten aus diesem Ursachengeflecht 1993 insgesamt 110 und im Jahr 1994 (bis November) 249 Unternehmen aufgeben.

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