Der Pate der Kampfgans
Bei der Thüringer Landtagswahl will der PDS-Spitzenkandidat Bodo Ramelow die absolute Mehrheit der CDU brechen
Aber dann, als der Spitzenkandidat spricht, marschiert ein besoffener Nazi mit zwei an der Leine zerrenden Kampfhunden vorbei, reckt vor der Bühne seinen Arm in die Luft und brüllt. Er sei stolz, ein Deutscher zu sein. Dazu ein paar Beleidigungen. Der Spitzenkandidat ruft ihm hinterher: »Was man nicht im Hirn hat, hat man eben am Hund.« Da drückt der Nazi seiner Begleiterin die Hundeleinen in die Hand und dreht um.
Das Wahlprogramm in 20 Sekunden
Der Schreck fährt den Zuschauern in die Knochen. Der Nazi baut sich vor der Bühne auf und schreit den Spitzenkandidaten an: »Komm her, los, komm her!« Bodo Ramelow legt das Mikrofon weg, geht in die Hocke, um mit dem Mann zu sprechen, der mit seiner Faust vor Ramelows Nase fuchtelt. Zwei Polizisten kommen dazu, ein paar PDS-Wahlkampfhelfer, auch ein weiterer Glatzkopf, der den Tobenden wegzieht. In sicherer Entfernung reißen sie noch einmal die Arme hoch: »Deutschland den Deutschen!«
Er wollte vor diesen Leuten keine Schwäche zeigen, keinen Rückzieher machen, erklärt Ramelow danach. Erst recht nicht auf diesem Marktplatz, wo regelmäßig Ausländer angepöbelt und verfolgt werden. Wo die Nazis »Patrouille laufen«, wie Ramelow sagt. Deshalb hat er auch die Ballade von Konstantin Wecker auflegen lassen. Er weiß Bescheid, er war schon inkognito im Meininger Asylbewerberheim, um die Zustände ungeschönt zu sehen und die Verantwortlichen zur Rede zu stellen.
Bodo Ramelow ist Spitzenkandidat der PDS bei der Thüringer Landtagswahl an diesem Sonntag. Ein Glücksfall für den Landesverband, der neben der Krise der Bundespartei auch noch eigene Auseinandersetzungen zu verkraften hatte. Ohne Ramelow, der erst seit fünf Jahren zu den Sozialisten gehört, müsste die Thüringer PDS der Wahl womöglich besorgt entgegensehen. Denn der 48-Jährige ist der populärste Politiker, den die Sozialisten im Freistaat vorzeigen können. Ein Mann, der auch bei den konkurrierenden Parteien akzeptiert wird. Ein anerkannter Populist, wie in Zeitungen zu lesen war.
Ramelow mag dieses Wort nicht besonders. »Soll mir doch mal einer erklären, was das ist, ein Populist«, knurrt er und es hört sich nicht so an, als wolle er noch irgendetwas dazu sagen. »Wenn es allerdings bedeuten soll, dass jemand souverän mit der Öffentlichkeit umgehen kann, dann würde ich mir mehr Populisten wünschen«, meint er dann doch und erzählt, wie er in einer Rundfunksendung in 20 Sekunden erklären sollte, warum man PDS wählen soll. »Nach 18 Sekunden war ich fertig«, sagt er und fügt grinsend hinzu, dass sein SPD-Konkurrent Christoph Matschie bei der gleichen Übung mitten im Satz unterbrochen wurde - weil er zu lange brauchte.
»Ich kann vor 10000 Leuten reden und ihnen das Gefühl geben, ich hätte nicht vor, sondern mit ihnen gesprochen«, sagt Ramelow. Ein Satz, der typisch ist für sein robustes Selbstbewusstsein. Auf dem Meininger Marktplatz hören ihm zwar nur ein paar Dutzend Menschen zu, aber er legt sich dennoch ins Zeug. Jeder Wähler zählt. Unterdessen werden im Publikum vergleichende Kandidatenstudien betrieben. »Vom Gesicht her sieht der Althaus gut aus«, sagt eine Frau, »aber reden kann der Ramelow besser.«
Ein Wunder ist das nicht, schließlich war Bodo Ramelow sein halbes Leben lang Gewerkschaftsfunktionär. Erst in Hessen, dann in Thüringen. Da lernt man es, Leute zu überzeugen. Wobei Ramelow schon frühzeitig Talent bewies. Als Lehrling bei Karstadt entschloss er sich, in die Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen einzutreten. An seinem Eintrittstag brachte er die Beitrittserklärungen von 50 Kollegen mit, die er geworben hatte. Er kümmerte sich um die Jugendarbeit, engagierte sich gegen den US-Krieg in Vietnam, half Berufsverbotsopfern und begeisterte sich für den linken Aufbruch in Chile. »Der Putsch gegen die Allende-Regierung war für uns eine geradezu körperliche Niederlage«, erinnert er sich.
Als in der DDR die Wende kam, wurde er gefragt, ob er die Angestellten des Erfurter Centrum-Warenhauses beraten könne. Er tat es und hinterließ ein Angebot: »Wenn ihr mich braucht, komme ich wieder.« Ein paar Tage später fuhr ein FDGB-Kurier nach Marburg, um ihn beim Wort zu nehmen. Ramelow ging nach Erfurt, in das er sich sofort verliebt hatte, und baute die Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen in Thüringen auf. Zehn Jahre lang.
In diesen zehn Jahren hat Bodo Ramelow viel gelernt. Er hat über Privatisierungen verhandelt und gesehen, wer den Kalikumpels von Bischofferode in ihrem Existenzkampf half. Als über die Erfurter Erklärung für einen Politikwechsel nach der Ära Kohl diskutiert wurde, traf er wieder PDS-Mitglieder. Freilich auch Sozialdemokraten, solche wie Edelbert Richter und Friedrich Schorlemmer, die für Ramelow »die andere SPD« darstellen. Und er hat die »kalte Ausgrenzung« der PDS in der Landespolitik erlebt, mit der er nichts zu tun haben wollte.
Irgendwann kamen die Angebote von der PDS. Erst ging es um eine linke Oberbürgermeisterkandidatur, dann wurde er gefragt, ob er sich für ein Bundestagsmandat bewerben wolle. Er entschied sich für die Landespolitik und wurde 1999 als bis dahin Parteiloser Vizevorsitzender der Erfurter PDS-Landtagsfraktion. Keine unumstrittene Sache bei den Sozialisten, dieser Überflieger. »Bis heute«, sagt Ramelow, »habe ich bei Wahlen in der Fraktion immer ordentlich Gegenstimmen.«
»Wenn dieser Raum erzählen könnte ...«
Inzwischen ist er Fraktionschef und hat sich dabei so profiliert, dass die Presse ihn gelegentlich als Ein-Mann-Opposition tituliert. Er mischt sich ein, hat eine große Klappe und lässt sich kein brisantes Thema entgehen. In seinem Büro hängt - nicht weit entfernt von einem Paar roter Boxhandschuhe - eine große Skizze. Ramelow hat sie selbst gezeichnet. Worte und Abkürzungen sind durch allerhand Linien teils getrennt, teils verbunden. Eine Mischung aus Schnittmusterbogen und Bastelanleitung. Sie zeigt die Verflechtungen zwischen Landesbehörden und Firmen, Stiftungen und Beteiligungen, sie zeigt Beziehungen und Kanäle, über die in Thüringen Gelder verteilt werden: »Ein Myzel von Gewogenheiten und Abhängigkeiten.«
»Man muss nur ein bisschen Abstand zu den Dingen nehmen und genau hinsehen«, erklärt Ramelow, als wäre es die einfachste Sache. Und man müsse bereit sein, bestimmte Erkenntnisse öffentlich zu machen, auch auf die Gefahr einer Strafanzeige hin. Dann kämen weitere Informationen. Denn: »Es gibt immer Leute, die im Beziehungsgeflecht zu kurz gekommen sind. Wenn dieser Raum erzählen könnte, welche Geschäftsführer hier schon gesessen haben ...« Ramelow lässt den Satz im Ungefähren versickern.
In seinem Panzerschrank liegen geheime Akten über das umstrittene CD-Werk des Unternehmers Pilz. »Hier in der grünen Mappe geht es um eine betrogene Schornsteinfirma«, sagt er. Daneben ein Stapel interner Akten zum Massaker am Erfurter Gutenberg-Gymnasium und Unterlagen über den früheren skandalumwitterten CDU-Innenminister Köckert. Bei Bedarf stellt er brisante Dokumente ins Internet. Bei Ramelow fragen gern Journalisten nach, denn er hat immer eine Meinung, oft Informationen und nicht selten eine gute Geschichte. »Dafür braucht man«, sagt er, »ein gutes Gedächtnis und Schubladen voller Unterlagen, die dort eigentlich nicht sein sollten.«
Handschlag vom Ministerpräsidenten
Längst wird die PDS in Thüringen als verlässlicher Partner wahrgenommen, selbst bei der CDU. Nach der jüngsten, von der PDS beantragten Sondersitzung des Landtages, in der heftig über die Abwassergebühren gestritten wurde, kam ausgerechnet der CDU-Redner, der am lautesten gegen die Sozialisten gedonnert hatte, zu Ramelow und sagte, man müsse die Angelegenheit unbedingt im Ausschuss gemeinsam klären. Dass Ministerpräsident Althaus im Parlament den PDS-Fraktionschef demonstrativ mit Handschlag begrüßt, ist für Ramelow ein Zeichen dafür, wie ernst die PDS von der CDU im Wahlkampf genommen wird.
Dessen waren sich die Sozialisten durchaus nicht sicher, als sie sich entschlossen, einen eigenen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten ins Rennen zu schicken. Es hätte ja sein können, dass die Öffentlichkeit das Ganze als Lachnummer abtut, als Werbegag. Dass es anders kam, hat mit Ramelow zu tun und mit der Tatsache, dass die PDS zwei Jahre lang über ihr Wahlprogramm nachdachte. »Ich habe am Abend der verlorenen Bundestagswahl 2002 gesagt: Jetzt beginnt der Landtagswahlkampf«, erinnert sich Ramelow. Die PDS hat sich gestritten und sie hat gearbeitet. Sie ist in Thüringen zwischendurch auf 14, 15 Prozent zurückgefallen und liegt nun wieder über 20. Sie will besser als 1999 abschneiden, als sie bei 21,3 Prozent landete, und möglichst wieder vor der SPD ins Ziel kommen.
Vor allem aber soll die absolute Mehrheit der CDU fallen. Thüringen soll einen Machtwechsel erleben - dafür arbeitet die PDS, dafür arbeitet Bodo Ramelow, der die Hektik des Wahlkampfs beinahe zu genießen scheint. Ebenso wie die Aufregung über die Frage, ob die PDS mitregieren soll. Für Ramelow ist die Sache trotz aller von SPD und Grünen demonstrierten Ablehnung noch längst nicht abgehakt. So schnell gibt er nicht auf. Er kämpft und mag Kämpfer. Neulich übernahm er im Erfurter Zoo die Patenschaft über eine Kampfgans.
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