- Kultur
- Shakespeares „Die Geschichte von Heinrich IV.“ am Deutschen Theater in Berlin
Melancholisches Spiel über Macht
GERHARDEBERT
Im vorzüglichen Darstellerensemble: Horst Weinheimer (Earl von Westmoreland), Michael Maertens (Prinz Harry), Eberhard Esche (König Heinrich IV.), Kay Schulze (Prinz John), Erhard Marggraf (Sir Walter Blunt) Foto: Joachim Fieguth
Lichterkette zum Auftakt. Zwölf mal zwölf Kerzen. Allmählich verlöschend. Oder vorher von Prinz Harry ausgepißt. Zwischen den Akten ein grimmig-ehrgeiziger Trommler des Krieges auf kahler Bühne. So der Rahmen für ein melancholisches Spiel über Macht und Rebellion.
Wer am Deutschen Theater in Berlin Shakespeares „Geschichte von Heinrich IV “ inszeniert, kann - sollte man annehmen - an Peter Hacks, dem einst gefeierten Hausdichter, nicht vorbeigehen. Von ihm liegt eine gediegene, feinsinnig pointierte Bearbeitung der zwei Teile der Historie vor. Doch Hausherr Thomas Langhoff benutzte die oft prosaisch anmutende Übersetzung Wolfgang Swaczynnas. Der Zuschauer muß sich auf fast fünf Stunden einlassen. Ob das zunehmend ausbleibende Besucher wieder ins DT locken wird, bleibt abzuwarten.
Immerhin: Ein Klassiker im Angebot. Ein Star-Regisseur. Und ein Star-Ensemble. Vor allem Kurt Böwe ist zu besichtigen, für den Langhoff den Sir John Falstaff ausgesucht hat, den berühmtesten Poltron der dramatischen Literatur Mit wollüstiger Behaglichkeit watschelt Böwes heruntergekommener Ritter über die Szene, sich gelegentlich der Rampe nähernd, um seinen Witz nicht nur an seine Sauf- und Raub-Kumpane, sondern auch ans Publikum zu richten. Ob er über die Ehre philosophiert
oder über die Vorteile des Instinkts, stets produziert er den Spaß gelassen munter Doch Böwes dickleibiger Gauner und Experte im Bramabarsieren hat auch Weltschmerzliches. Seine Taten und Reden sind nicht die eines lebenskräftigen, seine gesellschaftliche Endzeit tragikomisch gar nicht spürenden Adligen, sondern Akte eines entwurzelten, freilich gerissenen Strolches. Wenn er dem toten Heißsporn Percy ohne Skrupel noch einen Dolchstoß versetzt, um sich als sein Bezwinger ausgeben zu können, ist das der Gipfel der Diffamie, zu der dieser erbärmliche, brutal egoistische Kerl fähig ist. Was freilich nicht mehr und nicht weniger bedeutet als gängige menschliche Norm. Damals. Heute.
Bedrückend solche Erkenntnis. So man sich noch bedrükken läßt. Langhoff gelingt, die uralte Geschichte vom englischen König Heinrich IV. (1367-1413) aktuell zu erzählen. Die Armseligkeit der Ausstattung (Bühnenbild Pieter Hein/Kostüme Bert Neumann) ist ästhetisch gewollt. Nicht nur König Heinrich IV lebt spartanisch - ein rotes kleines Labyrinth umgibt Thron und Bett -, auch die Rebellen gegen ihn. Sie besitzen bestenfalls ein paar Stühle. Obendrein scheinen die Leute allesamt in bunter Unterwäsche herumzulaufen. Das ist so befremdlich wie possierlich und also irgendwie gemeint. Accessoires der Kostüme wie Pelzkappe oder Kopftuch scheinen mir beredt
genug. Ich nehme an, der Regisseur möchte darauf hinweisen, daß die primitive menschliche Hatz nach Reichtum und Macht, wie sie damals in England auf niedrigem „wohlständischem“ Niveau begann, noch heute anzutreffen ist. Ethnische Gruppierungen beispielsweise in und um Europa herum ziehen aus eigentlich nichtigem und verhandelbarem Anlaß gegeneinander, töten sich und zerstören Habseligkeiten so hirnrissig wie schonungslos.
Nur derlei Assoziationen des zeitgenössischen Theaters legitimieren, die Macht-Querelen des Heinrich auf die Bühne zu bringen. Und dann staunt man, was so alles der gute Shakespeare von den Menschen schon wußte. Und man muß sich hüten, an ihnen nicht zu verzweifeln. Sie haben sich seither nicht geändert.
Da ist dieser König Heinrich IV., der durch Rebellion auf den Thron kam und nun zwischen Friedensliebe und Eroberungssucht laviert. Eber-
hard Esche gibt ihn als resignativen, müden Herrscher, der seine Erklärungen zu polemischen Arien türmt. Da ist Prinz Harry, der Thronfolger, der sich aufmüpfig herumtreibt und mit Falstaff und dessen Kumpanen gemeinsame Sache macht. Sozusagen ein „68er“ des angehenden 15. Jahrhunderts, der zur rechten Zeit ins Machtgefüge seines Vaters zurückkehrt. Michael Maertens lebt ihn aus als wahren, leicht kapriziösen Edelmann sonnigen Gemüts, des-
sen Texte vornehmlich ästhetisch, kaum gestisch liefernd. Da ist Percy, der Rebell und heißspornige Gegenspieler des Königshauses, der, klugem Rat kaum zugänglich, nur zu gern draufhaut. Götz Schubert zeigt ihn souverän als spontanen, demagogischen Hitzkopf, dessen wilde rednerische Attacken stets inhaltlich bestimmend.
Die berüchtigte Langatmigkeit des zweiten Teiles läßt sich durchstehen. Dank auch zahlreicher weiterer prominenter Schauspieler Viel Beifall.
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