Skepsis und Geist

Marianne Regensburger - Kommentare

  • Bohumil Kostal
  • Lesedauer: 2 Min.
Als der Herausgeber des vorliegenden Buches, der Historiker Joachim Heise, Frau Regensburger auf ihre markante Stimme hin ansprach, die vielen Zuhörern auch in der DDR vertraut gewesen sei, winkte sie nur ab: Ja, ihre Stimme würden viele Menschen kennen, wüssten diese aber auch, was sie gesagt habe? Mit derselben Skepsis, demselben kritischen Geist beobachtete die vor zwei Jahren verstorbene große deutsche Journalistin das Geschehen in Deutschland und in der Welt. Ihre Betrachtungen lesen sich heute wie eine kompetente und provozierende Führung durch die politische, moralische, geistige und soziale Entwicklung der vergangenen 50 Jahre. Sie beleuchtet die neuen Karrieren der alten Nazis und den »verlogenen Sozialismus« in der DDR, Mauerbau und Verfall der demokratischen Öffentlichkeit in der Bundesrepublik sowie die Schatten der Wiedervereinigung. »Ich bin, wie man hierzulande in guter alter NS-Tradition zu erwähnen nicht vergessen darf, jüdischer Herkunft«, schrieb sie. Aus diesem Grund hatte sie 1939 ihre Heimat verlassen müssen, ging nach England und studierte in New York. Aus der Emigration nach Deutschland zurückgekehrt, arbeitete sie zunächst bei der amerikanischen »Neuen Zeitung« in München, später beim RIAS in Berlin und dann beim ZDF in der Redaktion von »Kennzeichen D«. »Ich dachte damals«, schreibt sie über ihre journalistischen Anfänge, »ich könnte etwas bewirken im Sinn von Aufklärung, Warnung vor Fehlentwicklungen, Anprangerung von Missständen. Ein etwas antiquiertes Berufsverständnis, wie ich heute meine«, fügte sie 1994 hinzu. Zu Unrecht, denn von diesem Berufsethos waren ihre Arbeit und ihr bürgerliches Leben durchdrungen. Ihre politische Position definierte sie in einer Rede: »Auch im "einig Vaterland" wird jene Teilung Deutschlands weiter bestehen, die älter ist als die von 1945. Es ist jene zwischen dem affirmativen, jede jeweils bestehende Ordnung stützenden Deutschland und dem anderen, dem der Radikaldemokraten, der Pazifisten, der Atomgegner, der Bürgerinitiativen und last not least der Frauen, die sich in all diesen Gruppen engagiert haben.« Marianne Regensburger stritt gegen die Lügen der Politik und der Medien und gegen das (manipulierte) Vergessen. Und sie bewunderte Carl von Ossietzky: »Ossietzky besaß eine seltene Tugend, die in unserem deutschen Tugendkatalog ganz unten steht: Zivilcourage.« Heute übrigens immer noch, wie zu ergänzen wäre. Joachim Heise ist zu danken für das anregende, kluge Buch. Marianne Regensburger: Kommentare zur Zeit 1950-2000. Hrsg. von Joachim Heise, Nachbetrachtung von Joachim Jauer. Verlag am Park, Berlin 2004. 546S., geb., 19,90 EUR.

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