- Politik
- Paris Was a Woman von Greta Schiller
Am linken Ufer
James Joyce und sein »Ulysses« gehören zur Weltliteratur, aber wer kennt schon Sylvia Beach, die mit der Herausgabe dieses Opus magnum ihren Verlag in den Bankrott trieb? Den Namen Jean Genet verzeichnet jede Literaturgeschichte, aber dort steht wenig oder nichts über Genets Beziehung zu der USamerikanischen Journalistin Janet Flanner, eine der wichtigsten Frauen im Leben des homosexuellen Autors. Selbst Picasso hätte wohl ohne die Unterstützung von Gertrude Stein einen schwierigeren Weg zum Weltruhm gehabt.
Paris war eine Frau? Fast ein Dutzend Frauen sind es, die die Dokumentaristin Greta Schiller und ihre Rechercheurin und Buchautorin Andrea Weiss nun in Buch und Film dem Vergessen zu entrei-ßen suchen. Frauen, die sich von Kultur und Flair der französischen Metropole in den 20er und 30er Jahren unseres Jahrhunderts so angezogen fühlten, wie sie selber wiederum für an'dere ein Anziehungspunkt wurden. Die berühmte »rive gauche«, das linke Seine-Ufer, verdankt in diesen Jahren ihren Ruhm nicht zuletzt diesen Frauen, die als Autorinnen, Buchhändlerinnen, Verlegerinnen, Malerinnen, Fotografinnen und Journalistinnen hier eine so von Weltkultur getränkte Atmosphäre schufen, daß Paris wohl zu Recht als Welthauptstadt der Kultur angesehen wurde.
Colette, Djuna Barnes, Gertrude Stein als Schriftstellerinnen, Romaine Brooks und Marie Laurencin als Malerinnen, die Buchhändlerin Adrienne Monnier, die Fotografin Gisele Freund und und und schon die Nennung dieser Namen macht die große Breitenwirkung dieses kultu-
rellen Kraftzentrums deutlich. Die meisten von ihnen leben nicht mehr, die Orte ihres Wirkens kann uns der Film nur noch in Fotos und Archivaufnahmen nahebringen, und so erfahren wir nur aus den Interviews von dem regen Austausch in Adrienne Monniers berühmtem Buchladen, der zugleich Leihbibliothek war, oder über Sylvia Beachs ähnlich konzipierten »Shakespeare & Co«.
Paris war, so sagt es der Filmkpmmentar, diesen Frauen zwar eine Frau, doch »weder Mätresse noch Muse, sondern ein neuer Hafen der Freiheit«. Künstlerische Freiheit war damit in erster Linie gemeint, aber Schiller und Weiss machen keinen Hehl daraus, daß diese Freiheit nicht zuletzt das Privatleben betraf: die bürgerliche Moral ignorierte man in lesbischen Beziehungen. Daß deren Aufs und Abs den künstlerischen Austausch beeinflußten und gewisse Eifersüchteleien noch lange nachwirkten, ahnt man, wenn Gisele Freund sich über Sylvia Beachs Akzent mokiert - mit keineswegs geringerem Akzent ihrerseits.
Was leicht zu einer kulturgeschichtlichen Lehrstunde werden könnte, macht die Regisseurin zum Lernerlebnis, indem sie uns quasi auf eine alternative Stadtrundfahrt mitnimmt. Wenn sie Zeitzeugen interviewt, läßt sie auch deren Lebens- und Wonnumfeld »sprechen«. Die Zwischentitel strukturieren das Material in überschaubare Kapitel, auch wenn dies gegen Ende etwas ermüdend wird, und dann und wann verblüfft uns die Regisseurin mit Archivaufnahmen von unerwarteter Dichte, wie etwa denen von US-Soldaten im 1. Weltkrieg.
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