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Was das »Christkind« mit dem Kaffee zu tun hat

Der östliche Pazifik hat sich kräftig aufgeheizt / Großer »El Niño« befürchtet Von Steffen Schmidt

  • Lesedauer: 4 Min.

Was verbindet Fischmehl und Kaffee? Normalerweise nichts. Doch Wirtschafts- und Wissenschaftsmeldungen der letzten Monate zeigen eine durchaus enge Verbindung: Das Klima über dem Pazifik.

Die »El Niño« genannte Anomalie der Meeresströmungen im äquatorialen Pazifik treibt die Preise für die Kaffeesorte »Robusta« an der Londoner Börse in die Höhe, kann man in der »Neuen Zürcher Zeitung« lesen. Und DPA meldet, daß die peruanischen Fischmehlexporte in diesem Jahr um 60 Prozent fallen werden. Auch hier ist »El Niño« der Grund.

El Niño (aus dem Spanischen: »Kindlein«, hier bezogen auf »Das Christkind«) nannten die peruanischen Fischer eine Naturerscheinung, bei der sich das Oberflächenwasser des Pazifik überdurchschnittlich erwärmt und der westwärts gerichtete Passatwind weitgehend abflaut. Normalerweise ist dieses Intermezzo im Südherbst, wenn hierzulande Frühling ist, wieder zu Ende. Doch im Abstand von drei bis zu sechs Jahren geht die Erwärmung und die Flaute weiter Die Folge: Der kalte Humboldt-Strom wird nach Süden abgedrängt, das nährstoffreiche Kaltwasser kommt vor Peru nicht mehr an die Oberfläche, die Fischschwärme bleiben im Süden.

Doch nicht nur die Fänge der großen peruanischen Fischfangflotte haben unter den Folgen von El Niño zu leiden, in weiten Teilen der Welt ändert sich das Wetter. Während die Bauern im Andenvorland Perus und Boliviens ausnahms-

weise mal genug Regen bekommen, sind die Wolkenbrüche für die ohnehin schwache Infrastruktur der Andenländer oft verheerend. So wurden bei Unwettern im Juni in Chile einige Straßen und Brücken zerstört. Die Fischer des südlichen Landes dagegen profitieren davon, daß die Sardellenschwärme in ihre Netze statt nach Peru weiterschwimmen.

Negative ökonomische Wirkungen haben auch andere Länder zu gewärtigen. So befürchten die Kakaopflanzer in Ekuador Ernteverluste von etwa 60 Prozent, und bei der eingangs erwähnten Billig-Kaffeesorte aus Indonesien wird wegen Trockenheit ebenfalls ein massiver Einbruch erwartet.

Generell könnte man die El-Niño-typischen Wetterveränderungen auf die einfache Formel bringen: Am Westpazifik (Amerika) wird es wärmer und regenreicher als sonst und am Ostpazifik (Südostasien, Australien) wird es trockener. Die Schadenssumme des bislang folgenreichsten El Niño, 1982/83, wurde weltweit auf mehr als acht Milliarden Dollar geschätzt. Die Fernwirkungen von El Niño reichen bis in den Osten der beiden Amerikas, sogar bis nach Israel. Nicht immer sind sie unerfreulich. So erwartet der Ozeanograph James O'Brien von der Universität von Florida weniger atlantische Wirbelstürme für die USA, und in Israel fanden Wissenschaftler des Weizmann-Instituts bei der Auswertung der Daten des El-Niño-Ereignisses von 1991/92 und von Baumringen aus den letzten 20 Jahren, daß El Niño offenbar mit verstärkten Niederschlägen am östlichen Mittelmeer verbunden ist.

Allzu verwunderlich ist eine solche globale Wirkung nicht. Denn auch die Auslöser - über die eigentlichen Ursachen wird noch spekuliert - von El Niño befinden sich weit weg im Indischen Ozean und im Pazifik vor Australien. Das wechselnde Luftdruckgefälle in diesem Bereich entscheidet über die Stärke der Passatwinde und des Monsuns. Ist es über längere Zeit gering, kommt es zu den gefürchteten, langdauernden El Niños. Der Zusammenhang mit den Veränderungen im Westpazifik und im Indischen Ozean führte dazu, daß die Klimaforscher meist nicht mehr vom El Niño sprechen, sondern von der »El Niño Southern Oscillation« (ENSO).

Angesichts der gravierenden Auswirkungen besteht bei den Anrainerstaaten des südlichen Pazifik ein erhebliches Interesse an einer langfristigen Vorhersage. Dazu bedient man sich Computersimulationen, die auf den vorhandenen noch sehr ungenauen Klimamodellen aufbauen. Eines dieser Modelle diente Mark Cane und Steven Zebiak vom Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia Universität für ihre richtigen Vorhersagen der El-Niño-Ereignisse der Jahre 1986 und 1991.

Nachdem bereits der El Niño von 1991 länger als erwartet gedauert hatte (die Modelle sind eben doch noch nicht perfekt), droht nun nach Ansicht der US-Klimaforscher vom National Center for Atmospheric Research (NCAR/UCAR) möglicherweise für das Ende des Jahrzehnts ein Rekord-El-Niiio. Das jetzige Ereignis war bereits im Herbst vorigen Jahres von Forschern der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) in Camp Springs (Bundesstaat Maryland) vorhergesagt worden. Seit Jahresbeginn

nun breitet sich die Warmwasserzone vor Peru aus, sie mißt inzwischen nahezu ein Viertel des Erdumfangs und die Erwärmung ist mit Werten von 3,5 °C über Normal ungewöhnlich stark. Erwärmung und Ausdehnung wuchsen nicht nur schneller als erwartet, sondern auch schneller als bei dem bisherigen Jahrhundertereignis von 1982/83.

Ob die NOAA-Prognose zutrifft, muß man abwarten, denn ausgerechnet mit dem bisher erfolgreichsten Modell des Lamont-Doherty Earth Observatory wurde der jüngste El Niño nicht vorausberechnet. Und gerade für dieses Modell reklamieren die Erfinder eine bedeutende Verbesserung. Das Team von Forschern aus dem Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia Universität in den USA und aus dem israelischen Weizmann-Institut ist überzeugt, das chaotische Verhalten der El-Niño-Erscheinungen berechenbar gemacht zu haben. Titel der Pressemitteilung: »Controlling Tropical Chaos« (Das tropische Chaos kontrollieren).

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