Wenn Schlangen Kröten schlucken

Importierter Schädlingsvertilger wurde zum giftigen Bissen

  • Michael Lenz, Cairns
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Giftkröte zieht mordend durch Australien. Käfer, Insekten und Frösche stehen auf dem Speiseplan der Zuckerrohrkröte. Das Tier ist aber auch selbst ein Glied in der Nahrungskette. Doch die Amphibie aus der Familie der Agakröten (Bufo marinus) ist dank zweier Giftdrüsen am Hinterkopf für potenzielle Feinde ungenießbar. Ob als Ei, Kaulquappe, Babykröte oder als 25 Zentimeter große erwachsene Kröte - die Cane Toad ist immer giftig.
Die Zuckerrohrkröte ist kein australisches Tier. Die grünlich-braunen Amphibien waren erst 1935 aus Venezuela eingeführt worden, um Schädlinge in den Zuckerrohrplantagen von Queensland zu bekämpfen. Statt aber den Zuckerrohrkäfern den Garaus zu machen, widmeten sie sich lieber der eigenen Vermehrung. Bis zu 35000 Eier kann eine weibliche Agakröte produzieren. Die zahlreichen Nachkommen begannen, von Queensland aus über Tausende von Kilometern bis Sydney im Süden und zum weltberühmten Kakadu Nationalpark im Norden Australiens zu hopsen. Versuche der einheimischen Tierwelt, ihren Speiseplan um eine weitere Krötenart zu erweitern, endeten für viele Fresslustige tödlich. Die Natur nimmt den Siegeszug der Mörderkröten jedoch nicht tatenlos hin. Wissenschaftlern aus Sydney ist jetzt der Nachweis gelungen, dass zwei Schlangenarten sich in nur 70 Jahren so weit verändert haben, dass sie gefahrlos die giftigen Kröten fressen und verdauen können. Über ihre Beobachtungen berichteten sie im US-Wissenschaftsjournal »Proceedings of the National Academy of Science« (Bd. 101, S. 17150). Der simple Trick der Grünen Baumschlange und der Rotbäuchigen Schwarzotter: sie haben ihre Köpfe verkleinert und ihre Körper vergrößert. So können sie nur noch kleine Agakröten fressen, die weniger Gift enthalten. Durch den längeren Körper ist zudem das Gift besser abbaubar. »Bisher haben wir gedacht, dass ein solcher Evolutionsprozess Millionen von Jahren dauert. Aber offenbar kann es schneller gehen«, sagt Evolutionsbiologe Ben Phillips von der Universität Sydney, einer der Autoren der Studie. Die beiden Schlangenarten hätten sich in gerade mal 20 Schlangengenerationen an die Agakröte angepasst. Aber auch Vögel und Frösche haben offenbar gelernt, mit den giftigen Einwanderern umzugehen. Einige Vogelarten würden die Zuckerrohrkröte wie einen Pizzateig hin- und herklatschen, um so an die ungiftigen Körperpartien zu kommen, weiß Phillips. Im Dezember vergangenen Jahres entdeckten Wissenschaftler, dass sich der in den Northern Territories heimische Dahl's Aquatic Frosch ohne Schaden an Babyzuckerrohrkröten delektiert. Der Grund seiner Immunität ist noch unbekannt. Die Keelback Snake aus der Familie der Nattern hingegen verdankt ihre Immunität gegen das Gift des Bufos marinus ihren asiatischen Verwandten, die sich seit Jahrtausenden ihren Lebensraum mit Giftkröten teilen und im Laufe der Evolution gegen das Gift immun wurden. Andere Spezies sind jedoch weniger evolutionär veranlagt. In den Northern Territories seien die Todesotter, die Gefleckte Python und 47 weitere Schlangenarten von der Zuckerrohrkröte an den Rand der Ausrottung gebracht worden, klagt Phillips. Ein Schicksal, das auch den krötenfressenden Beutelmardern droht, deren Zahl nur zwölf Monate nach Ankunft der Kröten alarmierend abgenommen hat. Auch Süßwasserkrokodile und Goanna-Eidechsen scheinen Probleme mit den Kröten zu haben. Es werde jedoch eine sehr lange Zeit brauchen, bis die Natur eine Balance geschaffen hat, die eine friedliche Koexistenz zwischen der australische Fauna und den Cane Toads erlaubt, vermutet Phillips. Um zu verhindern, dass in diesem langwierigen noch mehr einheimische Spezies der Fressgier und dem Gift der Kröten auf Nimmerwiedersehen zum Opfer fallen, suchen Umweltschützer und Wissenschaftler nach anderen Wegen, die Krötengefahr zu bannen. Wissenschaftler der australischen Forschungsorganisation CSIRO (Commonwealth Scientific Industrial Research Organisation) arbeiten fieberhaft an Methoden zur Eliminierung der Cane Toads. Ein Versuch, mit Ranaviren als genetisches »Taxi« ein Gen zur Verhinderung der Fortpflanzung in die Tiere einzuschleusen, musste jedoch abgebrochen werden. Es fand nämlich auch der Nachwuchs heimischer Frosch- und Krötenarten ein vorzeitiges Ende. Eine neues Projekt hat jetzt die Metamorphose der Kaulquappen zu Kröten im Visier. Durch die Einschleusung eines Proteins, das nur in ausgewachsenen Cane Toads vorkommt, soll der Metamorphoseprozess verhindert werden. »Die Kaulquappe wird das Protein als Fremdkörper erkennen und eine Schutzantwort entwickeln«, beschreibt Professor Alex Hyatt den Prozess. Eine Gefahr für andere Spezies bestehe durch diese Methode nicht, hofft Hyatt zuversichtlich. Die Regierung der Northern Territories in Darwin hat das Schutzprogramm »Insel Archen« ins Leben gerufen. Gefährdete Tiere werden auf garantiert krötenfreie Inseln verbracht. Die Bevölkerung von Queensland hat unterdessen die Zuckerrohrkröten zur Volksbelustigung entdeckt. Cane-Toad-Rennen sind die Attraktion in bierseligen Nächten in den Pubs zwischen Townsville und Port Douglas.

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