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  • Politik
  • Ernesto Kroch - ein deutscher Antifaschist, dem das Exil Heimat wurde

»Ich habe nicht lange mit meinem Schicksal gehadert«

  • Lesedauer: 7 Min.

Er hat zwei Diktaturen miterlebt. Die faschistische in Deutschland und eine ultrarechte in Uruguay: Ernesto Kroch. Mit dem zweimal ins Exil gezwungenen Antifaschisten sprachen für ND die Berliner Historiker Michael Herms und Gert Noack.

Ernst Kroch (2,v. r.) mit Freunden aus der jüdischen Jugendgruppe »Kameraden« - zwei Jahre später kämpft er im kommunistischen Jugendwiderstand gegen Hitler

Fotos: privat/Kroch; Noack

? Sie wurden am 11. Februar 1917 in Breslau als Ernst Julius Kroch geboren, nennen sich aber Ernesto?

Die Ereignisse verschlugen mich vor einem halben Jahrhundert nach Lateinamerika. Das Exil wurde zur Heimat, ich bin Uruguayer geworden. Deshalb die spanische Version meines Vornamens. Es ist kein Deckname, wenn Sie das meinen. Ich hatte viele in meinem Leben; heute muß ich mich nicht mehr verstekken, kann mit offenem Visier kämpfen.

? Einer Ihrer Decknamen lautete »Robert«. Da waren Sie in Deutschland im antifaschistischen Widerstand.

Ja, in einer Jugendgruppe der KPD (Opposition) in Breslau.

Der Weg in die kommunistische Bewegung ist mir nicht an der Wiege prophezeit worden. Ich stamme aus einem jüdischen Elternhaus in Breslau. Mein Vater arbeitete als kleiner Handelsreisender für ein Konfektionsgeschäft. Über Politik wurde zu Hause nicht geredet.

Es war aber die Zeit der Weltwirtschaftskrise, als ich die Schule beendete und Lehrling bei »Shmoschewer & Co.« wurde, wo wir Lokomotiven bauten. Es waren die Erfahrungen im Betrieb, die mich prägten. Nachdem sich unser deutsch-jüdischer Bund »Kameraden« im Sommer 1932 auflöste, ging ich zunächst zur sozialistisch orientierten »Freien Deutsch-Jüdischen Jugend« und danach zur Jugendorganisation der KPD (0). August Thalheimer und Heinrich Brandler, die Begründer der KPD (0), lehnten die »Sozialfaschismusthese« ab und kritisierten Stalins Einfluß auf die KPD Das leuchtete mir ein. Auch die Spaltung der Gewerkschaften durch die KPD-orientierte Rote Gewerkschaftsopposition schien mir ein Fehler. Die KPD (0) indes hat schon vor 1933 an die Linken appelliert, alles Trennende zurückzustellen.

? In Breslau wirkte auch Robert Bialek, nach 1945 Mitbegründer der FDJ in Sachsen, 1953 nach Westberlin geflüchtet, drei Jahre darauf von der Staatssicherheit der DDR entführt ...In der DDR hieß es, er sei ein »Gestapospitzel« gewesen. Wie erlebten Sie ihn?

Bialek war ein führender Mann des Jugendwiderstandes, er war ein Draufgänger, schonte sich selbst nicht. In der Tat flog unsere Gruppe am 9 November 1934 auf. Die Gestapo hatte jemanden

»geschnappt« und brutal gefoltert. Dazu muß ich aber auch sagen: Wir waren nicht so professionell, um den Profi-Häschern auf Dauer entgehen zu können. Theoretisch war alles klar - Decknamen, Fünfergruppen, konspirative Unterkünfte etc. Aber wir hatten wenig Erfahrungen und waren blutjung. Es war eine Frage der Zeit, bis der erste und dann alle verhaftet sein würden.

Der SED-Vorwurf gegen Bialek mag der Tatsache geschuldet sein, daß Gestapokommissar Josef Kluske, der 1950 in der BRD vor Gericht stand und sich eigentlich an »nichts mehr erinnern« konnte, aussagte, Bialek habe eine Erklärung“ unterschrieben, in der,er sich verpflich-' tete, nicht mehr gegen das Nazi-Regime zu arbeiten. Nur- Eine solche Erklärung mußten alle »Politischen« unterschreiben, bevor man sie entließ. Und ich hätte auch sonstwas unterschrieben, um Gestapo- oder SS-Hölle zu entkommen.

? Sie standen im Juli 1935 vor dem Breslauer Oberlandesgericht. Wie lauteten Anklage und Urteile?

Die Anklage: »Vorbereitung zum Hochverrat«. Die Richter ließen aufgrund unserer Minderjährigkeit »Milde« walten. Von den zehn Angeklagten erhielten zwei je fünf Jahre Zuchthaus, die anderen zwei bis ein Jahr Haft. Bialek und Heinz Ostrower wurden in einem abgetrennten Prozeß zu fünf Jahren bzw zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Ich kam ins KZ Lichtenburg. Am 26. Januar 1937 wurde ich entlassen, sollte aber Deutschland binnen zwei Wochen verlassen. Das tat ich am 10. Februar, mit zehn Reichsmark

in der Tasche. Ich schlug mich nach Jugoslawien durch, wo in einem zionistischen Camp Jugendliche für ein Leben im Kibbuz in Palästina ausgebildet wurden. Dorthin wollte ich aber nicht.

? Warum nicht?

Die Idee vom »Staat der Juden« überzeugte mich nicht. Die Welt teilte sich für mich in Arbeiter und Kapitalisten. Zudem erfuhren wir von den Konflikten mit den Arabern, damit wollten wir nichts zu tun haben. Schließlich erfuhren wir, daß in Zagreb der Konsul von Paraguay Visa verkaufe. Mein Freund hatte einen reichen Onkel in Buenos Aires, der uns das nötige Geld schickte... Um es kurz zu machen: Im Dezember 1938 bestieg ich in Marseille den Dampfer »Aisina« und landete am Rio de la Plata in Uruguay. Paraguay lehnte unsere Aufnahme ab. Die Visa waren wertlos. Im Rückblick

muß ich sagen: zum Glück. Denn mit Stroessner kam es dort zur blutigsten Diktatur Lateinamerikas.

? Viele Emigrantenschicksale erzählen von Armut und Einsamkeit in der Fremde. Wie erging es Ihnen?

Ich hatte großes Glück. Schon am zweiten Tag nach meiner Ankunft in Montevideo bekam ich Arbeit, sogar in meinem Beruf als Schlosser. Etwas Spanisch hatte ich schon während der Überfahrt erlernt. Schnell gewann ich auch politische Freunden - junge Leute, die aus der KP Uruguays ausgeschlossen worden waren. Zu jener Zeit gab es da auch Personenkult; Generalsekretär Eugenio Gomez wurde wie ein kleiner Stalin verehrt. Ich arbeitete also wieder an einer oppositionellen Zeitschrift mit, wie damals in Breslau, wo wir die KPD (O)-Zeitung »Gegen den Strom« illegal verbreitet hatten. Ich fühlte mich in den linken Kreisen Uruguays bald zu Hause. Meine Kontakte zur deutschen Emigration waren dagegen minimal.

? Und zu Ihrer Familie?

Meinen Geschwistern ist die Flucht nach Palästina gelungen. Meine Eltern wollte ich zu mir, nach Uruguay, holen. Ich hätte aber 2000 Dollar für eine Einreiseerlaubnis aufbringen müssen, verdiente jedoch nur 50 Pesos im Monat. -Ich habe meine Eltern im Februar 1937, als ich Deutschland verlassen mußte, zum letzten Mal gesehen.

? Warum sind Sie 1945 nicht zurückgekehrt?

Ich wollte ja. Ich bin 1946 zum sowjetischen Konsulat gegangen und stellte einen Antrag, um in die sowjetische Zone einreisen zu können. Mit meinen zwei Kindern und meiner Frau Coca. Ich hatte inzwischen geheiratet. Ich dachte, man braucht uns Emigranten jetzt in Deutschland. Ich bekam aber keine Antwort und keine Einreisegenehmigung. Auch spätere Bemühungen scheiterten.

Ich habe aber nicht lange mit meinem Schicksal gehadert. Ich bin Marxist. Und für einen Marxisten gab es auch in Uruguay genug zu tun. Ich engagierte mich in der Gewerkschaft, trat während des Kalten Krieges in die KP ein und später wieder aus, und arbeitete im »Volkskomitee des Stadtteils Süd« mit, wo die Ärmsten der Armen lebten ...

? Uruguay galt lange als die »Schweiz Südamerikas« - bis zum Juni 1973, als rechte Militärs putschten. Hat Sie der Staatsstreich überrascht?

Nicht völlig. 1971 war ein breites Linksbündnis zur Wahl angetreten, die »Frente Amplio«. Sie erhielt 20 Prozent der Stimmen. Der Putsch war eine Reaktion darauf. Unter dem Vorwand, den »Terror« der Tupamaros zu bekämpfen, übernahm die Armee die Macht. Wir antworteten mit Generalstreik, daraufhin wurde der Kriegszustand verhängt. Daß die Diktatur sich dann aber zwölf lange Jahre halten würde - so lange wie die Hitlerdiktatur -, das ahnten wir nicht.

? Nach der Erfahrung Nazidiktatur haben Sie da nicht daran gedacht, erneut ins Exil zu gehen?

Zunächst nicht. Ich arbeitete wieder im Untergrund. Flugblätter drucken, illegale Zeitungen herstellen, Informationen sammeln - es war wie damals in Breslau.

? Sie wurden auch wieder verhaftet.

Ja, das war 1974. Drei Tage lang wurde ich verhört. Aber das tut nichts zur Sache. Viel schlimmer erging es meinem Sohn Peter Am 9 November 1975 haben sie ihn geholt, brutal gefoltert und zu sieben Jahren Haft verurteilt. 1981 starb meine Frau. Es war eine furchtbare Zeit. Und als dann die Gefahr akut wurde, daß ich erneut verhaftet werde - da entschloß ich mich doch zur Emigration. Ich ging in die Bundesrepublik.

? Also kehrten sie doch noch heim?

Nein, denn die Heimat war mir fremd geworden. Ich konnte nicht mehr Fuß fassen in Deutschland. Ich schrieb Übersetzungen, Rezensionen und ab und zu Artikel in linken Zeitschriften. Das Gefühl der Fremdheit aber blieb. Und so kehrte ich 1985, als die Diktatur fiel, wieder nach Uruguay zurück. Mit meiner neuen Lebensgefährtin Feva. Es gab wieder und gibt für mich immer noch viel zu tun. Unsere »Frente Amplio« hat sich stabilisiert und vereint rund ein Drittel aller Wählerstimmen. Ich engagiere mich auch im Brecht-Zentrum in Montevideo, ein Ort linker Kultur Zur Ruhe setzt mich erst der Tod. Denn: Wenn auch nach dem Scheitern des real existierenden Sozialismus vieles neu durchdacht werden muß, der Kapitalismus, auch in seinem neoliberalen Gewand, wird die sozialen Probleme nicht lösen. Weder in Uruguay, noch anderswo auf der Welt.

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