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  • Politik
  • Zum Tod der Antifaschistin Gertrud Schröter

Nachruf auf eine »Landesverräterin«

  • Rolf Gössner
  • Lesedauer: 5 Min.

Pastor Heinrich Albertz, der ehemalige Regierende Bürgermeister West-Berlins, äußerte »großen Respekt vor diesem tapferen und menschlichen Leben einer einfachen Bürgerin in einer westdeutschen Stadt«. Da kannte ich Gertrud Schröter noch nicht. Ich lernte sie erst Anfang der 90er Jahre kennen - und war beeindruckt von ihrer Lebensgeschichte, von ihrem unermüdlichen Kampf gegen Faschismus und Krieg. Nun hat sie ihn für immer aufgegeben - Gertrud Schröter aus Celle (Niedersachsen) ist in diesem Sommer im Alter von fast 86 Jahren gestorben.

Gertrud Schröter, die als junge Kommunistin selbst von Nazis verfolgt worden war, hat in den vergangenen Jahrzehnten ungezählte Gruppen durch das ehemalige KZ Bergen-Belsen geführt, lange bevor sich die niedersächsische Landesregierung endlich entschloss, eine Gedenkstätte zu errichten und Personal für Führungen einzustellen. Wo in der Nazizeit über hunderttausend Menschen ums Leben gekommen waren, erzählte sie zumeist jungen Menschen nicht nur, was dort geschehen war, sondern auch, wie es zu der faschistischen Barbarei hatte

kommen können und welche Lehren daraus zu ziehen seien. Sie scheute sich nicht, vor diesem Hintergrund skandalöse Ereignisse und fatale Entwicklungen der westdeutschen Nachkriegsgeschichte anzuprangern.

Und solche hat sie am eigenen Leib zu spüren bekommen - am ärgsten in der Hoch-Zeit des Kalten Krieges. Die Politische Justiz widmete sich längst wieder den »inneren Staatsfeinden«, zu denen vor allem Kommunisten zählten. Viele von ihnen waren bereits unter den Nazis verfolgt worden. Und auch die Verfolger waren nicht selten die Täter von gestern: Der Staatsanwalt, der Gertrud Schröter wegen »landesverräterischer Beziehungen« und »staatsgefährdendem Nachrichtendienst« in der jungen Bundesrepublik anklagte, hatte unter Hitler im besetzten Polen dafür gesorgt, dass schon für geringste Vergehen die Todesstrafe verhängt wurde. Auf Grund der Anklage dieses furchtbaren Juristen, der in der Bundesrepublik nahtlos weitermachen konnte, wurden Gertrud Schröter und ihre Weggefährtin Elfriede Kautz 1961 von der politischen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg zu je einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung und zu fünf Jahren Ehrverlust verurteilt. Warum? Sie hatten als Mitarbeiterinnen der Arbeitsgemeinschaft »Frohe Ferien

für alle Kinder« Reisen in die DDR organisiert und so Zehntausenden von Kindern aus sozial schwachen Familien preiswerte Ferien ermöglicht.

Die Deutsche Bundesbahn hatte jahrelang Sonderzüge für diese Fahrten zur Verfügung gestellt. Erst kurz vor dem Strafverfahren war der Feriendienst wegen Verstoßes gegen das KPD-Verbot verboten worden.

Den Angeklagten wurde vorgeworfen, sie hätten mit ihrer Ferienvermittlung politische »Wühlarbeit« in einer kommunistischen »Tarnorganisation« betrieben. Wie sie dabei die betreuten Kinder politisch beeinflußt haben sollen, »belegte« das Gericht an Hand zahlreicher Tagebuchberichte der Kinder. Beispiel: »An einem Nachmittag besuchten uns sowjetische Freunde, die mit uns Fußball spielten und auf der Freilichtbühne Soldatentänze durchführten. Erst hatte ich ein bißchen Angst, als ich hörte, daß die Russen zu uns kommen, aber diese Angst verging bald, denn sie waren einfach prima.« Zum »Beweis für die Folgen des verderblichen Einflusses, dem die Kinder in ihren Ferienreisen ausgesetzt waren«, dienten dem Gericht, wie der frühere Panorama-Journalist Lutz Lehmann in seinem Prozessbericht zusammenfasste, »Äußerungen der Kinder gegen Wildwest-Romane, über ein Fest mit der Volkspolizei, gegen die Großgrundbesitzer, über den Start sowjetischer Raumraketen«, auch »Äußerungen gegen die Atombewaffnung und über soziale und kulturelle Einrichtungen in der DDR«. Politische Beeinflussung glaubte das Gericht »schon daran erkennen zu können, daß diese Kinder die Russen für Menschen und

den Krieg für verwerflich halten« (Lutz Lehmann in seinem Buch »Legal & opportun«, 1966). Zum Schluss des Urteils hielt das Gericht den Angeklagten noch zugute, dass sie »neben ihrer gefährlichen politischen Arbeit doch im Rahmen der Kinderbetreuung auch Gutes« gestiftet hätten.

Solche merkwürdigen richterlichen Ausführungen blieben nicht auf die Angeklagten Schröter und Kautz beschränkt. Über ein Dutzend Mitarbeiterinnen wurden damals von den Landgerichten Lüneburg und Dortmund zu Freiheitsstrafen verurteilt.

Insgesamt ermittelten die Strafverfolgungsbehörden in den 50er und 60er Jahren gegen etwa 250 000 Kommunisten und unabhängige Linke. Rund 10 000 Menschen wurden zu mehrmonatigen oder gar mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt, sie wurden ihrer staatsbürgerlichen Rechte beraubt, unter Polizeiaufsicht gestellt, mit Berufsverboten belegt nur weil sie sich linksoppositionell betätigt hatten, ohne jemals Gewalt ausgeübt oder angedroht zu haben. Eine Rehabilitierung und Entschädigung für dieses erlittene Unrecht wird ihnen bis heute verwehrt -Gertrud Schröter, langjährige niedersächsische Landesvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (WN), kämpfte bis zum Schluss dafür.

»Sie wurden rechtmäßig in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren wegen einer Ihnen nachgewiesenen Straftat verurteilt«, beschied das Niedersächsische Justizministerium 1991 eine entsprechende Petition. »Eine gesetzliche Grundlage für einen Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruch gibt es unter diesen Umständen nicht.« Einige Jahre

später, 1995, erhielt Gertrud Schröter dann den Niedersächsischen Verdienstorden am Bande. Aber nicht etwa als Wiedergutmachungsleistung für die Verfolgung durch die niedersächsische Justiz und die erlittene Haft, sondern für ihre Führungen in Bergen-Belsen sowie für ihre kritische Aufarbeitung der Geschichte nationalsozialistischer Verfolgung. Die Antifaschistin Gertrud Schröter zeigte sich anlässlich dieser späten Ehrung verwundert: »Ich habe viele staatliche Diffamierungen hinnehmen müssen und bin es gewohnt, in eine bestimmte Ecke gedrängt zu werden. Ich bin überrascht, dass es diesen Umschwung gegeben hat, dass meine Tätigkeit nun Anerkennung erfährt.« Eine solche Anerkennung hatte sie wahrlich verdient - aber die Rehabilitierung ist ihr verwehrt geblieben. Die noch lebenden westdeutschen Justizopfer des Kalten Krieges kämpfen weiter für dieses politische Ziel (Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges, z.H. Karl Stiffel, Hoffnungstr. 18, 45127 Essen).

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